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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Bötticher, Hermann von: Die Gnade
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0313

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DIE GNADE.

Hermann von Boettichcr.

L
Der bei der Altonaer Regierung arbeitende Assessor Carl Horn hatte die
Unlösbarkeit eines einmal zu einem Menschen eingegangenen Verhältnisses
ebensowenig eingesehent wie die Tiefe des Bezuges aller Dinge untereinander,
als er eines Nachmittags auf der schimmernden Terrasse bei Jacob an der Elbe
seiner Geliebten erklärte, dah er sich von ihr zu trennen wünsche. Vielmehr
hatte er die Beziehungen zwischen den Menschen aus einer glücklichen Blind-
heit heraus bislang immer so rein körperlidi aufgefaht, dah er auch jehi noch
nicht verstand, warum seine Freundin so bläh wie eine Anemone wurde und
still die Stirne senkte, als wenn ihr auf einmal der Kopf mit der Fülle der
schwarzen Haare zu schwer würde. Er war so verwundert über ihr Schweigen,
dah er die Augenbrauen hochzog, wodurch sich sein Monokel lockerte; er set>fe
es wieder fest und begann sie zu fragen, ob sie etwa gedadit hätte, dah er
bis zu seinem Tode bei ihr bleiben würde, als ihr Geliebter, als ihr Mann,
als Vater ihrer Kinder gar, oder ob sie sich nie gesagt habe, dah er sich eines
Tages einmal verloben müsse usw., wobei er ihr die Hand so streichelte, wie
es ein Vater mit einem unvernünftigen Kinde tut. Doch ebenso beredt wie
er geworden, wurde er dann stumm, als sie ihm ihre Hand entzog und ohne
die Träne zu verbergen, die ihr von der Wimper auf den Teller mit den
Früchten fiel, einfach sagte: sie habe an all dieses nicht gedacht.
Da fing er an, sie still zu betrachten wie eine Fremde, die er noch nicht
gesehen hatte, und er sah, dah ihre Schultern zitterten und dah ihr weih^r Hals
und ihr noch weiheres Gesicht aus der zarten hellseidenen Bluse aufstieg wie
eine geheimnisvolle Blüte, von derem Leben er nidits wuhie.
Von der in der Sonne aufleuchtenden Elbe herauf kam nun ein leiser Wind,
die Blätterkronen über den weihen Tischen rauschten, Blätter schwirrten und
die Menschen in den festlichen Sommergewändern blickten auf und sahen
einander suchend in die fremden Augen. Ich möchte zahlen, sagte mit un-
sicherer Stimme Carl Horn zu dem bunten aufwartenden Mädchen, stand
dann auf und ging still mit seiner Freundin davon.
Zusammen in der Bahn sprachen sie beide kein Wort, und als er, auf seiner
Altonaer Station angekommen, aus dem Abteil stieg und ihr, die weiter fuhr,
mit einem ersiohlenen Handgruh Lebewohl sagte, wunderte er sich vor dem wieder
abfahrenden Zuge erstens über ein Gefühl wie verborgenen Schmerzes in seinem
Herzen und dann darüber, wie wenig einfach doch dieser Abschied gewesen war.

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