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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0362

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BERLINER ENTTÄUSCHUNGEN.
Ein Bericht.
Unter den äußeren Ursachen, infolgederen die Berliner
Sezession ihrem unaufhaltsamen Untergang ent-
gegentreibt, — innerlich ist sie bereits zerstört, falls
sie wirklidi eine Einheit gewesen —, möchte idi
zwei Momente hervorheben, da sie diesmal be-
sonders unverkennbar werden: die Uberproduktivität
ihrer Mitglieder und das Fehlen einer starken
gemeinsamen Kunstgesinnung. Man möge bedenken,
daß die im November eröffnete Ausstellung be-
reits die dritte innerhalb eines Jahres ist, und man
wird sidi eine Vorstellung machen können von der
ameisenhaften Betriebsamkeit, die dort herrschen
muß, um die Säle vollzuhängen. Aber man ver-
wechsle dodi nicht sinnlose Steigerung der Arbeits-
leistung mit Produktivität und Fülle, — es ließe sich
hier besser von Rekordarbeit und rauchendem Fabrik-
betriebe sprechen, als von naturhaft-sicherem Wachstum.
Der großen Mehrzahl dieser Bilder haftet auch ganz
unverkennbar der Charakter des gewaltsam Über-
steigerten, Herausgepreßten, Kraftmeierischen, Trüben,
Wolkigen, Unfreien, ja Unehrlichen an. Die „Kunsf-
gesinnung“ dieser Sezessionsgemeinschaff auf eine Formel
zu bringen (falls man die Ironie beiseite lassen will) —
das wäre wirklidi eine Leistung. Es sind ganz disparafe
Talente da, die irgendwelchen äußerlichen Interessen
zuliebe sich zusammengefunden haben mögen und von
denen jeder schließlich eine andere Kunsfgesinnung hat.
Zwar lassen sich einige Verwandtschaften namhaft
machen, Begabungen, die man immer in einem Atem
aufzäWen kann, wie: Waske und Jäckel (die »Monumen-
talen«), Kohlhoff und Krauskopf (die »Pseudomysfiker«),
Zeller und Richter (die »Altertümler«), dodi jede soldier
Brüderschaften hebt sich scharf und gegensätzlich von
der nächsten ab. Corinfhs, des Präsidenten, starke
ursprüngliche Malbegabung zerfeßt sich immer mehr,
je mehr er sich moralisch verpflichtet fühlt, mit den
Jungen einigermaßen Sdiriff zu halten, — es ist ein
fortschreitender Zerseßungsprozeß. Dann wieder fauchen
plößlidi, zum Erstaunen des Publikums, biedere Bildnisse
des trefflichen Malprofessors Phil. Franck auf, und so
geht es weiter. Es ist gleidigültig, ob man noch ein
paar Namen mehr auf zählt oder nicht, um das Gesagte
zu verdeutlichen, — das Niveau und die „Einheit“
dieser Gruppe ist wirklich nicht zu reffen.
Im Großen und Ganzen ist man fesfzusfellen ge-
zwungen : es ergab sidi seifen soldi ein peinliches, ja wider-
wärtiges Gesamtgefühl, man glaubt, durch einen Sumpf
gewatet zu sein. Ist es Unfähigkeit, ist es Lüge, ist
es die Luft einer haltlosen Zeit oder einer innerlich
morschen Generation, was solch ein „Schaffen“ und

solch eine Ausstellung erzeugen, was deren Veranstalter
verblenden konnte?! Man erinnere sidi der vorigen
Schau: Beispiele, Vorbilder eines neuen »Monumenfal-
stils« unerschrocken hingestcllf, der so zusfandekam,
daß große Flädien mit vergrößerten Figuren bedeckt
worden waren. Heute sieht man jene Maler der großen
Gebärde wieder auf ihr ursprüngliches Niveau zurück-
gesunken und niemand wird es schwer, zu merken (falls
er sidi damals wirklich irreführen ließ), was es mit
ihrer Kraft und Macht der Gestaltung auf sich hafte.
Es ist ganz unvermeidlich, daß die bösen Treibhaus-
früchfe dieser Sezessionsaussfellungen von vielen in
Verbindung mit der Kunsterneuerung gebradif werden,
die sidi zu vollziehen begonnen hat, da die Einsicht
in das Wesen des Expressionismus viel weniger allgemein
ist, als man gewöhnlich glaubt. Man kann bei diesem
Anlaß nur warnen vor einer Verquickung von Dingen,
die nichts miteinander zu schaffen haben: in diesem
Ausstellungsverbande ist weder die „Geistigkeit“ der
neuen, noch die Sinnlichkeit der alten, noch die Be-
seeltheit irgendeiner anderen Kunst. Hier hat man
es mit Zwiffererscheinungen einer (nafürlidi durchaus
nicht begabungslosen) Blendkunsf zu tun, und ich wüßte
nicht, wer sich ihnen irgendwie zu Dank verpflichtet
fühlen sollte, falls ihm das Schicksal der großen
Kunst vor Augen und im Herzen steht.
*
Eine Erscheinung wie Schmidt-Rottluff bedeutet
heutzutage, in Anbetracht der wenig überragenden Dar-
bietungen der Berliner Ausstellungen, unbedingt einen
Anziehungspunkt, ja, wenn man sich seiner zuleßt
gesehenen Landschaften aus den Jahren vor dem
Kriegsbeginn erinnert, eine starke Hoffnung. Und er
bleibt eine gesfalferisdie Potenz, wenn er auch die
auf sein weiteres Wirken geseßfen Erwartungen zunichte
macht durch die neueste Wendung seiner Malerei, die
durch eine reidie Bildersammlung in den Räumen der
»Freien Sezession« (Galerie Möller) bewiesen wird.
Dorf gibt er eine überschau über sein gesamtes bis-
heriges Schaffen seif 1906, dort unterstreicht er mit
größtem Nachdruck seine jeßige Epoche, indem er eine
lange Reihe von 1919er Bildern zeigt. Alles in allem:
ein dauerndes Vorwärts, ein unablässiger Wandel des
Stils! Man weiß, das ist heute vieler Maler Lebens-
geseß: „Nur wer sich wandelt, bleibt mit mir verwandt!“
(im Grunde eine Form von wiedergeborener „Ironie“
der Romantiker); man sollte aber auch die Gefahr,
den Fluch bedenken, der sidi an die Fersen des
unaufhaltsam Weif erstürmenden heftet: hier, bei diesem
Maler, hat man das Schauspiel, daß die vehemente
Enfwicklungsbewegung über die Ebene hinwegrasf, wo
er hätte Besiß ergreifen, in die Breite wachsen sollen!
Man konnte einst an diesen Maler glauben, etwas

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