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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Januar-Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0363

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wie eine „dionysische“ Kunst von ihm erhoffen, nun
sinken höchstgespannfe Erwartungen auf ein mäßiges
Niveau von Interessiertheit herab, ja schließlich sieht
man sich zu kühlen Ablehnungen genötigt. Man erlebt,
daß die nicht Unrecht hatten, die Schmidt-Rottluff in
die nächste Nähe eines Pechstein stellen wollten. Beide
sind, das zeigt sich nun mit voller Deutlichkeit, im
Grunde tatsächlidr eng verwandt: es fehlt eine Geistig-
keit im Wollen beider, eine elementare Malersinnfichkcit,
eine „materialistische“ Weltauffassung liegt ihrem
Schaffen zugrunde, — dies soll nicht als Werturteil,
sondern als Feststellung gesagt sein. Schmidt-Rottluff
ist allerdings an formaler Begabung und Leidenschaft
der Überlegene, während Pechstein eine viel sicherere,
geschlossenere Gesamfentwicklung zeigt und auch eine
reichere, reifere Farbenskala im Vergleich zu den grellen
Posaunenstößen der leßfen Farben des anderen Meisters.
Der Krieg scheint wirklich ein Verhängnis für Schmidt-
Rottluff bedeutet zu haben; während vier künstlerisch
fast tatenloser Jahre hat er seinen eigenflidien Stil, die
eben erst errungene Macht des Pinsels wieder ein-
gebüßt. In Bildern, Landschaften von etwa 1912—1914
(aus dieser Zeit ist hier leider nur ganz wenig da!)
hat er eine fabelhafte Höhe erstiegen, es zu einer oft
erschütternden Mächtigkeit der Formgestaltung ge-
bracht, die die Tore zum Metaphysischen auf riß (die
Wirkung jedes Gestalters in größtem Sinne). Was
vorher lag, ist meistens recht belanglos, denke man
an die pointillistischen Experimente seiner Anfangs-
jahre, die paßig-feßenhaften Stücke seiner zweiten,
oder die leuchtend-flächenhaften seiner dritten Manier.
Auf der Höhe der vierten, für die stumpfere, von
starken Farbenblißen durchbrochene Tönungen, sowie
gewaltig zusammengeraffte, als statische Gebilde er-
faßte Naturformen charakteristisch sind, hat der Maler
sich, Gott sei’s geklagt, nur kurze Zeit gehalten; hier
entfaltete sich der Himmel, unter dem er hätte reifen
können. Doch vielleicht ist es garnicht seine Schuld,
sondern nur sein Unglück, daß er heute, nach einer
Flut entseßlicher, aufrührender Erlebnisse, wie so viele
andere als ein völlig anderer vor uns hingefrefen. Das
Evangelium vom „Geseß“ in der Erscheinung, vom
geistigen Kern der denselben verhüllenden Naturdinge,
hat unterdessen von ihm Besiß ergriffen, und er ist
darangegangen, sich eine durchaus eigenartige Formen-
sprache und Symbolwelt aufzubauen. Auf der Jagd
nach dem „Geistigen“, das sich bekanntlich nidit er-
jagen läßt, das seiner Naturanlage gar nicht erreich-
bar scheint, ist der Künstler zu Scheinresultaten gelangt,
die nur allzu deutlich die Zwiespältigkeit seiner jeßigen
geistigen Verfassung offenbaren. Statt, wie Pedistein,
die wirkliche Basis seiner Persönlichkeit zu erkennen
(die Welt des Sinnlich-Seelischen), und von hier aus

aufzuwachsen, hat er gerade die Vorausseßungen
seines Wirkens von sich abgeworfen. Das, was er an
dessen Stelle seßt, ist ein gänzlich inhaltsleerer, grin-
sender Formenschematismus, der mit heftigen Gebärden
nach der Plastik der primitiven Völker hinüberwinkt,
ist eine grelle Farbenekstatik ohne jede geistigen
Beziehungen. Kaum eins der neuen Bilder vermag zu
bannen, ja, es ist, als stünde man in einem Totenhause.
Aber gebe man die Hoffnung noch nicht völlig auf,
man bedenke, daß Schmidt-Rottluff eines Tages viel-
leicht auch diese fünfte Phase seines Werkes über-
wunden haben und den Weg zu sidr selber zuriick-
finden könnte. Möglicherweise wirft er überhaupt
Pinsel und Leinewand beiseite und erkennt seine wahren
Berufe! Seine prächtvollen Holzplastiken sind noch
viel zu wenig bekannt geworden (auch in dieser Aus-
stellung sieht man nur eine einzige), auch wäre er in
der Lage, mit kunstgewerblichen Entwürfen vor
die Öffentlichkeit zu treten, die heute einzig dastehn!
Die Erweiterung und Abrundung dieser Bildersdrau
nach den bezeichneten Seiten hin wäre ein dringender
Rat an den Künstler; seine Ausstellung könnte dann
nodi den Charakter eines „Kunstereignisses“ gewinnen,
während sie denselben jeßt durchaus entbehren muß.
*
Die Galerie Schulte hatte eine interessante Triibner-
Sammlung zustande gebradrt, und es gab in einem
einsamen Saal Gelegenheit, das Handwerk eines großen
Technikers in ungestörter Muße zu studieren und zu
analysieren. Auf die Dauer belästigte und erschreckte
jedodr die Kälte, die von allen diesen Bildern wie
von steinernen Werken ausströmte, das völlig Seelen-
lose, der Geist eines malerischen Militarismus, der
sidr in Komposition und Farbengebung dieses Maler-
Offiziers mühelos näher nadrweisen ließe. Die frühen
Bilder aus der Leibl-Zeif waren eine historische Freude;
ich denke vor allem zweier erstaunlicher dunkler Blumen-
stücke kleinsten Formates, von denen ein schöner Haudr
von Geborgenheit ausging.
Oskar Beyer.
Max J. Friedländer, der Kunstkenner.
Bruno Cassirer, Berlin. Ein kleiner, überlegen und
sachlich geschriebener Essay ist als Büchlein erschienen:
er hat die Erscheinung des Kenners zum Gegenstand
und bedeutet im Grunde eine Verständigung über
das Verhältnis des Museumsbeamten gegenüber dem
historisdien Forscher, über die zwischen der praktisdi
angewandten zur theoretischen Kunsterkenntnis laufen-
den Fäden. Das Widitigsfe der kleinen Sdiriff
scheint mir, abgesehen von einer knappen und klaren
Aufreihung der wesentlichsten Züge und Aufgaben
des Kenners, der Hinweis darauf zu sein, daß alle

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