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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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April-Heft
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Istel, Edgar: Musikdrama oder Oper?
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0632

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hinausgehen. Das war umso merkwürdiger, als Wagner überraschenderweise ein-
mal zugestanden hat (Epilogischer Bericht), daß die Oper nicht nur sein Aus-
gangspunkt, sondern sogar „der eigentliche Mutterschoß seiner konzeptiven Kraft“
gewesen sei.
Warum aber gab Wagner das Opernkomponieren auf, gerade nachdem er seine
beliebteste Oper (»Lohengrin«) geschaffen hatte?
Die Antwort auf diese Frage gibt das denkwürdige Revolutionsjahr 1848/49,
dieser Hauptwendepunkt im Leben und Schaffen Wagners. Daß Wagner erst
durch die nach seinem Wohnsiß Dresden übergreifende politisdie Revolutions-
bewegung dazu bestimmt wurde, auch künstlerisch „Revolution“ zu machen,
geht daraus hervor, daß »Siegfrieds Tod« (also die ursprüngliche Fassung der
»Götterdämmerung«) das zuerst gedichtete Drama der späteren »Nibelungen«-
Tetralogie, nach seiner Vollendung am 28. November 1848 noch die Bezeichnung
„Eine grolle Heldenoper“ empfing, Wagner also gedachte, stilistisch hier die Bahn
des »Lohengrin« fortzusehen. Dies zeigt auch die Anlage des Textbuches ziemlich
deutlich.
Wagner, nach Nietzsche der „ganz große Schauspieler“ in der Musik, nahm die
Pose des „Revolutionärs“ nur deshalb an, weil diese Pose gerade die schauspie-
lerisch dankbarste war; die ganze Welt glaubte damals bereits an den Umsturz
des Bestehenden, an den vollkommenen Zusammenbruch der europäischen Kul-
turwelt, und darum suchte sich Wagner rechtzeitig eine führende Stellung in der
zukünftigen Neugestaltung zu sichern. „Es muh anders werden, so darf es nicht
bleiben,“ lautete seine Parole, und dies „anders werden“ bezog er nicht nur auf
die Politik, sondern auch auf seine Kunst. So war es denn mehr als ein Symbol,
wenn Wagner in höchsteigener Person beim Ausbruch der Revolution die Sturm-
glocke läutete: „die dabei sich kundgebende Empfindung war die eines groben
ausschweifenden Behagens; ich fühlte plötzlich Lust, mit irgend etwas sonst für
wichtig gehaltenem zu spielen“. „Mit verzweiflungsvollem Behagen“, hei^t es ein
andermal, habe er sich „in den Strom der Ereignisse treiben lassen“. Es war das
Behagen, das dadurch entstand, endlich eine ganz außergewöhnliche Rolle zu
spielen: die des Zertrümmerers der Opernform. Nur aus diesem übertragen po-
litischer Gefühle aufs Kiinsflerisdie erklärt sich Wagners Schritt, alle Brücken mit
der Vergangenheit brechen zu wollen. Jene Vergangenheit, aus der Goethes großes
Wort leuchtete: „Das Geseß nur kann uns Freiheit geben“, galt ihm jeßt für
nichts; er verwechselte das in mancher Hinsicht willkürlich abzuändernde Staats-
geseß mit dem immanenten, nur organisdier Weiterentwicklung zugänglichen
Kunsigeseß. In seinem Haß gegen alle „Konvention“ warf er von nun an nicht
nur das Wort Oper über Bord; er wollte auch dem Begriff ein Ende machen und
suchte ihn durch allerlei höhnische Definitionen in Mißkredit zu bringen.
Was hat nun Wagner eigentlich gegen die „Oper“? Warum wütet er so gegen

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