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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Krell, Max: Phantasie Entwicklung/Totalität
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0709

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Hier wird Entscheidung sich rüsten. Die Erschütterung unseres weltweiten Wissens
wird zum Erdbeben unserer Phantasie. Auch die Astrologie kehrt wohl zurück,
die durch lebte Jahrhunderte hin unwichtig, den Doktrinären verdächtig schien als
etwas Allogisches, der lächelnden Skepsis restlos Preisgegebenes. Seit sie als
Wesenheit erlosch, als Frühgeburt einging, ist ein gewaltiger Zufluh neuer Mittel
und entzauberter Kräfte gestaut worden. Diese gepfropft auf das Ergebnis der
Epoche betreiben weitere Entschleierung. Der Wunsch, nicht: Wunder zu tun,
vielmehr den natürlichen Kern der sogenannten Wunder zu fassen, wird regieren:
Urkräfte ins Rechenbare einzuschalten; die Vielfalt des Urmechanismus zu über-
schauen; mit Allem in souveräner Gemeinschaft zu sein; gliedhaft und bewußt
aus dem Schwachen das Starke zu errichten; in immer höherer Spirale emporzu-
kreisen und den Fächer der Gesichte und Wesenheiten als Ganzes, als Welt auf-
zunehmen. Nur wenn das senile Schwungrad der Wissenschaft unter neuen Stürzen
von Phantasie aufsaust, wird uns der Motor zu solchem F lug gegeben werden.
Statt dessen bleibt noch immer feig der Raum menschlicher Totalität begrenzt,
weil das Eingeständnis fehlender Allmacht peinigt. Statt dessen verächtliche man
die freie Kühnheit der Phantasie, die nicht nach hergebrachten Mähen organisier-
bar ist, und schielt sie unerlaubt, gegen Tradition, Weisheit, Lehre, Forschungs-
Extrakt verstoßend.
Hier ist Front zu nehmen, damit nicht Stagnation uns umsumpfe. Man muß das
Bekenntnis zur Phantasie beständig erneuern und verkünden. Man muß die
Autorität abgezirkelter Wissenschaft aus ihrer Selbstzweckhaftigkeit loseisen und
zurückschrauben auf das, was sie ist, muß sie einordnen in die summierenden,
schlußziehenden, exegese-treibenden Nummern und den Finger ausstrecken; daß
sie der Januskopf mit nachvornblinden Augen ist. Das bewegliche Band aufwärts-
treibender Entwicklung wird sonst gestrafft und festgehalten. Der Naturalismus
war unfruchtbar, weil er die Dinge nur an den Kanten und an der Epidermis
aufgriff, nicht sie aufschnitt, ihr kochendes Herz zu sehen und aus dem Herzen
den Dampf, der sich den ewigen Winden mischen möchte.
Die Deutschen sind Einschiebsel im Bau eines vielgliedrigen Kontinents gewesen,
allzulange, allzu-unzulänglich beeindruckt vom Anprall der Meinungen aus jeder
Zone. Sie haben nicht hinreichend Besinnung bewahrt zu Selbstschöpferischem.
Die EÜpse unserer geistigen Entwicklung wurde allenthalben unterbrochen. Immer
wieder stand Gott in neuer Form vor uns. Seine Abbilder behaupteten sich nicht
vor diesem überstarken Zudrang, weil eben wir ein Volk der Mitte, der Konfluenz
sind. Doch gerade darum regiert uns der Wille zur Synthese.
Synthese aber ist der Kern des neuen Weltbildes, ist die neue Optik, beherrscht
nun die Fünfschaft menschlicher Sinne. Aus ihr dämmert der Wille, das Regiment
des Stofflichen zu überwinden, die mystische Hochzeit endlich zu feiern. Denn

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