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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0785

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Der große Mittelraum enthält naturalistische, pseudo-
expressionistische und expressionistische Plastik fried-
lichst nebeneinander, sowie Graphik, vor allem Schnitte,
und einen groben farbigen Karton für ein Glasfenster
von Pechstein. — Troß des unbeschreiblich Tumul-
tuarischen einer solchen Darbietung, die scheinbar gar-
nicht überlegt wurde, bleiben dodi einige starke An-
ziehungspunkte, die das übrige Darumher verzeihlich,
d. h. vergessen machen, obwohl sie mit der „Freien
Sezession“ selber garnichts zu tun haben. Da hängen
z. B. acht Bilder von Marc, darunter zwei seiner
allerstärksten: der »Tiger« und der ruhende »Weibe
Stier« ; daß man gerade diese zu sehen hier Gelegen-
heit hat, ist groben Dankes wert. Da ist Aug.
Macke mit einer herrlichen kleinen Sammlung, seine
Farben haben die Wärme und Leuchtkraft von Glas-
malerei, er wirkt unglaublich beglückend mit dem
»Türkischen Paar«, dem »Zoologischen Garten«, der
kleinen Uferszene, dem »Hutladen«, dem Indianerbild.
In Campendonks, des deutschen Chagall, Bildern ist
Märchenwelt, in seinen kühleren, doch tiefen und
geisterhaften Farbenkombinationen herrscht Weinrot,
Smaragdgrün und Kobaltblau vor. Chagall selbst
tritt man in einem groben magisdren Rabbiner- oder
Kabbalistenbildnis (»On dit«), einer Harmonie in
Schwarz und Gelb, gegenüber und damit einem seiner
stärksten Werke. Kokoschkas leidensdraftlidr hinge-
wühlten »Auswanderern« gegenüber hängen ein paar
Stiid-ce von der niädifigen Gestalterin Paula Moder-
sohn; ungeheuer in ihrer naturhaften Massivität ist
vor allem das kniende nackte Weib mit dem Säug-
ling an der Brust! — Aus der Graphik des Mittel-
saales ragt ganz wenig hervor, etwa einige Blätter
von Barladi, Schmidt-Rottluff (der sonst nur drei
Gemälde seiner lebten Periode da hat), R. Bamberger,
Böckstiegl, Vally Friedmann, Diilberg. — Außer den
immer anständigen und sympathischen, wenn auch
nidit gerade starken Bronzen G. Kolbes und den
bereits 1912/13, wohl durdi Anregung Barladis ent-
standenen Holzfiguren E. Heckeis, die man als vollen
Ausdruck seines Wollens empfindet, sieht man nidrts
von irgend starkem Schnitt. Auch Pechstein hat der
plastische Ehrgeiz gepackt, er zeigt bemalte Holz-
figuren, deren unmittelbaren Vorfahren man indes in
jedem Völkermuseum begegnen kann. Audi über des
groben Barfach Holzreliefs läßt sidi nidifs Gutes
sagen, fast will es sdieinen, als sei die alte Schniß-
kraft von dem nun Fünfzigjährigen gewidien. — In
Summa: wenn die „Freie Sezession“ audi ferner, wie
es in einem ihrer ersten Kataloge heiljt, „ein Weg
ohne Ende“ zu sein behaupten will, wird sie ganz

radikale Mahnahmen der Sdieidung zu treflcn haben;
so wie sie jeist ist, ist sie ein briidiiges Gebilde,
zusammengesebt aus Materialien, die sidi infolge
ihrer diemisdien Natur überhaupt nicht verschmelzen
können, und nichts rächt sich bekanntlidi so sdiwer,
vor allem auf dem geistigen Plateau der Kunst, als
das Paktieren mit Menschen, die man konsequenter-
weise bekämpfen mühte.
Das Werk des 50 jährigen Hans Baluschek, dem zu
Ehren das Künstlerleben eine umfangreiche Ausstellung
eröffnet hatte, sollte man nicht leichtfertig zum alten Eisen
werfen, gerade gegenüber der Gesamtheit seiner Bilder
lernt man ihn achten. Ein „Maler“, d. h. ein in
Farbigkeiten denkender Künstler ist er zwar eben-
sowenig, wie er ein Meister höheren Grades ist, in-
dessen hat er Bilder von gutem Schrot und Korn
gemadit und beherrsdit einige besondere Farben-
stimmungen. Das Beste hat er zeidmerisch geleistet,
in der Form, im Charakterumrih entfalten sich seine
Stärken. Man kennt seit langem seine Welt: Prole-
tarier, Spießbürger, das Leben in den Vorstädten,
den Laubenkolonien, den Spelunken, das Treiben der
Volksvergnügungspläße, der Sonntagsnachmittage, die
bizarren Gegensäße der Millionenstadt, Eisenbahnen,
dunkle Ecken, Hinterhäuser, Not und Sdrande.
Er schildert das unbeschreiblich Groteske, Rührende,
Armselige der niederen Welt und beweist eine niidi-
terne, trocken - unbeholfene Sfilisierungskraff in der
Bildung von Leitern und Köpfen, die ihn weif über
Menzel stellt: dieser Maler siljf selber drin in seinen
Figuren, denkt aus ihnen heraus, während Menzel
unbewegt in sich selber geblieben. Man merkt, wer
so unheimlidi scharf und mensdilidi fühlend beobadifef,
muß mehr sein als ein Akademieprofessor; man
glaube audi nicht, daß er malt zur Belustigung der
Bürger: man kann ihn zu den Philosophen zählen
und in die Nähe von Daumicr rücken. Ganz er-
staunliche Würfe sind ihm hin und wieder gelungen,
idi denke etwa an die »Blinden Mädchen« von 1900,
die »Razzia«, den »Sonnfagnachmitfagspaziergang«,
das »Kinderfest«, das »Weibbieridyll«, den »Garten
des Bildhauers«, die »Betrunkene«, an die Zeichnungen
»Der Gimpel«, »Variete-Kinder« und das »Berliner
Album«. Um jedes Mißverständnis auszuschließen:
nidit daß er sozial betonte Bilder madit, sondern
wie er sie macht, wie er sie madien kann, da er
dementsprechend innerlidi ist, das sidiert seinem Ta-
lent eine weitere Dauer, als viele glauben mögen, die
ihm sein Beharren im engen Kreise zum Vorwurf
machen.
Indem idi einige Ausstellungen übergehe, die nur

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