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Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur — 1.1919/​1920

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Keyserling, Hermann: Die Philosophie als Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.29152#0909

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der Seele, der lange ln kalter Begriffszergliederung seine entsprechendste Aus-
lösung fand, plößlich, in einem großen Augenblick, in brünstigem Gebet zum
Himmel sich ergießt. Auf diese Weise ist mehr denn ein Denker zum Heiligen
geworden* Wo das Innerste des Menschen spricht, da gibt es die Grenzen nicht,
welche die Schule absteckt* Freilich beherrschen Philosophie, Religion und Kunst
an sich verschiedene, untereinander nicht vergleichbare Gebiete; doch sind sie in-
sofern eins, als sie aus gleicher Quelle stammen und einem grundsäßlich gleichen
Streben des schöpferischen Geistes Ausdruck verleihen. In verschiedenen Sprachen
reden die verschiedenen Triebe des Menschen doch immer nur vom Einen, Un-
aussprechlichen.
Und hieraus folgt weiter der persönliche Charakter einer jeden Philosophie* Es
gibt schlechterdings keine unpersönliche Weltanschauung; der Ausdruck wider-
spricht sich selbst* Der Philosoph ist ebensowenig Photograph der Wahrheit, wie
der Maler Photograph der Natur. Das Unpersönliche, folglich Unmenschliche,
geht uns nicht das mindeste an; es kann zum Menschen nicht sprechen. Das im
höchsten Sinne Allgemeine ist uns nur im Spiegel des schlechthin Individuellen
zugänglich, das Objektive in subjektiver Fassung. Gibt es etwa eine allgemeine,
objektive Schönheit? — Nein* Doch bewundern wir ein einziges Meisterwerk, in
seiner ausschließlichen Eigenart, so glauben wir darin die Idee der Schönheit sel-
ber zu schauen. Das im höchsten Sinne Individuelle ist eben dadurch schon typisch,
allgemein. So verkörpert den Deutschen Goethe, diese einzige, so über die Maßen
vielfältige und eigenartige Persönlichkeit, zugleich die Idee des höheren Menschen-
tums* Nicht anders steht es mit der philosophischen Wahrheit: auch ihr, wie der
Schönheit und letztlich jeder Idee, schenkt erst das persönliche Moment objektives
Dasein. Eine ursprünglich abstrakte, unpersönliche Philosophie ist ein Unding;
staubgeboren, wird sie wieder zu Staub* Was nicht einem Menschen aus inner-
stem Herzen sprach, das wird zu niemandem sprechen.
Gerade durch ihren persönlichen Charakter besißt Philosophie objektiven Wert! —
Das ist kein Paradox: es ist grundlegende Erkenntnis. Kant hat gelehrt, daß die
Weit erst durch die von uns in sie hineingetragenen Denkformen für uns zur
Wirklichkeit wird — fiele die subjektive Seite fort, so wäre damit zugleich auch
die objektive Wirklichkeit preisgegeben — ganz im Gegensaß zur landläufigen
Anschauung, daß uns erst dann „Die Wahrheit“ unverhüllt entgegenträte. Ab-
strakte Wahrheit gibt es allein im Verhältnis zu einem möglichen denkenden
Subjekt — subjektlos hätte ihr Begriff keinen Inhalt* Genau dasselbe gilt von
der konkreten Wahrheit, die der Philosoph als die seine verkündet: auch sie gilt
zunächst nur im Verhältnis zu ihrem Subjekt, der einzelnen Person; und erst da-
durch wird sie überpersönlich und allgemein. Es gibt eben für uns Menschen
keine Objektivität, außer in bezug aufs Subjekt* Dies gilt für den Denker
wie für jeden Künstler, Mag er im Werk noch so auf gehen, verschwinden, -

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