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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 2.1891

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Wie man in Japan wohnt, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11379#0021

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Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für „Z n ne n - D e ko r a t io n".

Ianuar-^eft.

tte man Ln MSMN wohnt.

)or noch gar nicht zu langer Zeit — es mögen etwa fünfundzwanzig
Jahre vergangen fein — da war Japan, so schildert Regierungsbau-
meister w. Sägert treffend, in den Augen der meisten Bewohner
Europas mit jenem phantastischen Reiz umgeben, welcher Alles, was
dem fernen Osten angehörte, in einem wunderbaren geheimnitzvollen Lichte er-
scheinen ließ. Unsere Kenntnisse des Landes beruhten damals hauptsächlich auf
Miitheilungen von Touristen, Kausleuten und Seefahrern, welche nur in einigen
wenigen Hafenstädten des Landes geduldet waren. Heutzutage aber liegt die
Sache anders: Die japanische Regierung, von Reformeifer beseelt, hat das Land
den Fremden geöffnet und so sind in kurzer Zeit durch wissenschaftlich gebildete
Männer unsere Ansichten über japanisches Volksleben und Kultur auf das Gründ-
lichste umgestaltet worden! wir wissen jetzt, daß die Japaner lauge vor der Be-
kanntschaft mit den Kulturvölkern der Jetztzeit eine schon frühzeitig hoch ent-
wickelte Kultur und eine sehr aus-
gebildete staatliche Organisation
besaßen; was uns in dem Volks- ,
karakter vielfach zuerst als fremd
und unsymphatisch berührt, läßt
uns eine genauere Bekanntschaft
mit dem Lande und der Geschichte
des Volkes meist als wahlberechtigt
«der doch als leicht erklärlich er-
scheinen. Man lernt ein Volk nur
bei sich zu Hause erst richtig ver-
stehen und beurtheilen, und dieses
Ziel erreicht man wiederum am
besten, wenn man es da aufsucht,
wo seine individuellen Neigungen
und die alltäglichen Bedürfnisse des
Einzelnen am klarsten zum Aus-
druck kommen,' nämlich im Wohn-
haus«; hier, wo der Mensch den
größeren Theil seiner Zeit zubringt,
erhält man ein um so treueres
Bild seiner Gewohnheiten, als ein
jeder zu Hause, wo er sich unbeob-
achtet weiß, seinen persönlichen Ge-
wohnheiten freien Lauf läßt.

Der Anblick einer japanischen
Straße zeigt hauptsächlich in kleine-
ren Städten und Dörfern eine Reihe
einstöckiger, aus Holz gebauter
Häuserfronten von langweiliger
Gleichartigkeit. Nur die zierlichen
äußeren Treppen und Gallonen,
welche vielfach Einblick in das
Innere der Häuser gestatten, sowie
die malerisch geschwungenen Dach-
linien retten dieselben vor voll-
kommener Eintönigkeit.

Die klimatischen Verhältnisse
des Landes geben die beste Erklär-
ung für die übliche Bauweise.

Das beinahe tropische Klima, häu-
fige Erdbeben und Wirbelstürme
bedingen eine luftige, leichte und
breitgelagerte Bauweise. Besondere
Unterschiede der Bauweise, welche
unseren Stilarten entsprächen, kennt
die japanische Baukunst nicht, da-
gegen ist die Kunstfertigkeit in der
Bearbeitung des Hauptbaumate-
rials, des Holzes, sowie die Grna-
mentirung der Bautheile sehr hoch
entwickelt. Die ganze Bauweise
ist sehr leicht, denn abgesehen von
den das Dach tragenden Stützen,
bestehen die Wände vielfach aus Brettern oder auch nur aus hölzernen, mit
starkem Papier überzogenen Rahmen; letztere sind so eingerichtet, daß sie leicht
verschoben werden können, um aus verschiedenen kleinen Zimmern einen größeren
Raum herzustellen. Die Zwischenwände reichen nicht bis an das Dach, oftmals
auch die Umfassungswände nicht. Von einer Abgeschlossenheit in unserem
Sinne kann daher in einem japanischen Hause keine Rede sein, um so weniger,
als eine strenge Eintheilung sin Wohn-, Schlafzimmer usw. nicht stattfindet. Jedes
Zimmer wird ohne weiteres zum Schlafen benutzt, indem man Decken und Kissen,
welche am Tag in Wandschränken untergebracht werden, auf den Fußbodenmatten
ausbreitet. Diese mehrere Zoll starken, aus Rohr geflochtenen Matten sind immer
von gleicher Größe, sechs Fuß lang und drei Fuß breit. Ihre Abmessungen sind
maßgebend für die Größe der Zimmer, man spricht also z. B. nicht von einem
Zimmer, welches Z2 Fuß lang und I Fuß breit ist, sondern sagt, das Zimmer
hat die Größe von sechs Matten.

Abbildung Nr. Z2g. Uenstkk-DkKovttlion im Stile Louis XVI.

Die Anlage der Wohnungen richtet sich selbstverständlich nach den Ansprüchen
der Gesellschaftsklassen, welchen ihre Bewohner angehören, während die untersten
Volksschichten sich mit einem oder zwei Räumen begnügen, wächst bei gesteigerten
Ansprüchen und Wohlstand die Zahl der Räume. Jedes einigermaßen bessere
Haus ist mit einem Badezimmer und einem sicheren, für sich gelegenen Werth-
gelaß versehen, wenn irgend möglich, so ist das Haus von einem Garten,
wenigstens ans zwei Seiten, umgeben. Bei größeren Häusern werden die Räume
häufig um einen inneren Hof, welcher mit Bäumen, Gartenanlagen und Fontänen
geschmückt ist, angeordnet. Die Wohnungen des hohen Feudal-Adels bestehen in
der Regel aus einer Gruppe verschiedener Häuser, welche durch Gallerien unh
verdeckte Gänge untereinander, sowie mit den Nebengebäuden in Verbindung
stehen. Dieselben bedecken mit ihren umgebenden Gartenanlagen und den dieselben
einschließenden Befestigungen ofmals Flächen von vielen Morgen Landes.

Noch ausgedehnter stellen sich
die kaiserlichen Paläste dem Be-
schauer dar, welche gleichfalls ans
Gruppen verschiedener Bauten be-
stehen, welche die zum Wohnen,
zu feierlichem Empfang, zu 'Fest-
lichkeiten usw. bestimmten Räumv
und Säle, nach ihrer verschiedenen
Bestimmung in getrennte Gruppen
vereinigt und nur durch Gallerien
mit einander verbunden, enthalten.

An Reichthnm und Dekora-
tionen sowie künstlerisch dnrchge-
sührten Arbeiten, wie Gesäße,
Möbel usw., stehen natürlich die-
Bauten des Adels und der kaiser-
lichen Hofhaltung obenan. Abev
auch in den nicht den obersten
Bevölkerungsschichten angehörigen
Kreisen wird viel aus künstlerisch
ausgebildete Schmuck - Gegenstände
und Hausgeräthe gehalten. Diese
werden aber nicht, wie bei uns,
wo Jeder Alles, was er nur besitzt,
in seinen Zimmern zur Schau stellt
in der Wohnung vertheilt, sondern
in, dem Hauxtraum des Hauses
sind zwei Nischen angeordnet, deren
eine offen, während die andere mit
Brettern und kleinen Schränken
ausgestattet ist; in diesen Nischen
werden abwechselnd einzelne Stücke
des Geräthes zur Ansicht aufge-
stellt, um nach einiger Zeit anderen
Platz zu machen, so daß dem häu-
figer wiederkehrenden Besucher im-
mer neue Gegenstände des Inter-
esses geboten werden. Die nicht
ansgestellten Werth - Gegenstände
werden in dem schon oben er-
wähnten sicheren Gelaß aufbewahrt.
Bei der leichten Bauweise dev
Häuser bieten dieselben keinerlei
Schutz gegen Diebstahl oder Feuers-
gefahr, deßhalb befindet sich im.
Hose oderGarten eines jeden besseren
Hauses ein massives, diebes- und'
feuerfestes, alleinstehendes kleines
Bauwerk, welches zum Aufbe-
wahren der Werthgegenstände dient»
Die Ausstattung der Zimmer mit
Möbeln ist nach unseren Begriffen,
spärlich. Einige kleine Schränke,nied-
rige Tische zum Schreiben, einige
Wandschirme bilden gewöhnlich das Mobiliar. Auch die Wände zeigen mit Ausnahme
einer gelegentlichen Friesmalerei oder einer Verzierung an den wandxfosten in dev
weise, wie wir sie ja aus japanischen Zeichnungen und sonstigen Darstellungen
kennen, nur geringen Schmuck; die oberen Theile. der Umfassungswände sind oft
mit hölzernen, gitterartigen, sehr schön gearbeiteten Verzierungen versehen, welche
der Luft und auch den Vögeln freien Zutritt gewähren; letztere bauen häufig im
Innern des Hauses ihre Nester und sind trotz der peinlichsten Reinlichkeitsliebe
der Japaner gern geduldet, da ihr Bauen im Hause Glück bringen soll; haupt-
sächlich aber schützt man sie wohl auch, weil sie dazu beitragen, der in dem heißen
Klima so empfindlichen Insektenplage zu steuern. Die Tugend der Reinlichkeit ist
bei den Japanern im hohen Grade entwickelt, obschon sie sich manchmal in einev
von der unsrigen verschiedenen Art äußert.

(Schluß folgt.)
 
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