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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 2.1891

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Schliepmann, Hans: "Was für ein Stil ist denn das nun?", [1]: eine Plauderei
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Seite 22.

Illustr. kun st gewerbl. Zeitschrift für „Innendekoration"»

Februar-k)eft.


MS für ein lft Venn Vas mm?"

Line Plauderei von Hans Schliepmann.

stMicht einmal, sondern sicher hundertmal habe ich es erlebt, daß obige Frage

hei gemeinsamer Betrachtung irgend eines modernen Hauses oder Geräthes
als Abschluß langer Erläuterungen mir von meinem liebenswürdigen Laienzuhörer
entgegentönte. Ich sehe dieselbe schon immer kommen. Der Blick schweift mit
einer gewissen Unruhe über den Rythmus des betrachteten Kunstwerkes, dessen
Werth ich in Worte zu fassen suche; es blitzt nur gelegentlich auf, wenn ich von
dem Werkstoffe spreche oder einige technische Kunstausdrücke erkläre. Allmählich
merke ich, wird die innere Ungeduld meines Zuhörers so groß, daß ich mit meinen
Auseinandersetzungen über Ulassenvertheilung, Flächenwirkung und was weiß ich
ebensogut samojcdisch auf ihn einreden könnte. Lr nickt noch ab und zu mit
einer verzweifelten Anstrengung etwas verständnißinniges in diese angenehme
Geberde zu legen. Endlich platzt er aber mit der Frage heraus: „Was für ein
Stil ist denn das nun?"

Kann ich alsdann kurzweg sagen: Frühgothik, deutsche Renaissance, Em-
pire oder dergleichen, so habe ich das erlösende Wort gefunden. Ich lese förmlich
vom Gesicht ab, wie sich die zerstreuten Gedanken um diesen Punkt aufrichten
und anordnen, gleich Eisenscilspäne über einem Magneten.

Ich habe zuweilen noch jugendliche Anwandlungen von Bekehrungseifer,
und wenn ich unter einer solchen beispielsweise einmal beim Berliner Gewerbe-
museum jene Frage nach dem Stil mit einem kurzen „modern" abzuschneiden und
auf weiteres Fragen durch „berlinisch-hellenistische Renaissance in Anlehnung an
oberitalischen Teriakottenbau" zu umschreiben suche, so ist mein Dank ein langes
Gesicht und ein entschiedenes Mißtrauen in meine sauer erworbenen und sauber
eingeschachtelten Stilbegriffe. Und ich hatte cs doch so gut gemeint und setzte
doch mein ganzes kleines Pfund einzig daran, den Leuten den Zopf der historischen
Stilgerechtigkeit abznschneidcn und sie zu einer rein ästhetischen Betrachtung der
Kunstwerke zu führen I Dabei muß ich noch obenein wahrnehmen, daß jene Frage
nicht etwa nur so obenhin gestellt wild, sondern daß es wirklich ein lebhaftes
Interesse, ein heißes Begehren bei all' den liebenswürdigen tlZuälgeistern ist und
daß thatsächlich der weg zum Kunstverständniß bei ihnen immer erst über diese
Frage geht.

Derselben muß daher doch etwas Allgemeinbewegendes zu Grunde liegen,
und ich möchte deßhalb einmal in dieser Beziehung mein Herz ein wenig aus-
schütten, in dem frommen Wahne, „ich könne was lehren", diesem oder jenem
den weg zum Kunstverständniß ein wenig ebnen.

Ich weiß es nicht, ob es persönliche Bosheit ist, die mich bei jener Frage
nach dem Stil zunächst immer an den mephistophelischen Ausspruch von dem Wort,
das sich zur rechten. Zeit einstellt, denken läßt. Jedenfalls wird meine Annahme
durch die Beobachtung einigermaßen bestärkt, daß derselbe brave Kunstschwärmer,
der sich rathlos um den Stil eines Neubaues abmühte, plötzlich, nachdem er das
nöthige „Sesam, thu' dich auf" ergriffen hat, im Gespräche mit Anderen mit
selbstsicherster Miene fragt: „Haben Sie denn schon das neue Kaufhaus in nieder-
ländischer Renaissance gesehen? Nicht wahr, originell, ganz reizend!"

Da haben wir die Leute, die „mitredsn können", müssen — unser bestes
Hörervolk, denn sie schwören auf uns, da wir so dreist sind, in Kritik zu machen.
Aber sie bilden nur eine geheime Gesellschaft, freilich größer als die der Frei-
maurer und Jesuiten zusammengenommen. Die würdigste Vorbereitung zu dieser
Gesellschaft bietet uns Allen aber unser unvergleichliches modernes Schulwesen,
pon Kindheit an geht unsere ganze Dressur auf einen riesigen Linschachtelungs-
xrozeß hinaus. Ordnung regiert die Welt und erzeugt angenehmen, nimmer
muckenden Unterthanenverstand. Das Wesen der Dinge darf man den Kindern
nicht zu früh offenbaren, verstauen und etikettiren lernen, das ist die Haupt-
sache. Da giebts die lehrreiche Grammatik und Syntax, die Zahlentabellen als
„Gerippe" der Geschichte, das Linnee'sche und Lurvier'sche System, die tadellosen
mathematischen Begriffserklärungen, überall schöne trockene Waben mit be-
nannten Zellen, in welche das lernende Bienlein den Wissenshonig stapeln muß,
ohne sich daran sättigen zu dürfen. So werden wir angelernt, bis wir es für
höher, wenigstens „nöthiger zur Bildung" achten, zu Pissen, daß der Mensch als
kiomo sapiens in der Welt voranmaschirt, als darüber nachzudenken, wie er den
ehrenvollen Artnamen mit Recht verdienen kann.

Unsre moderne Anschauung wird immer mehr in den Lhinesinnenschuh
hineingequetscht, wir gerathsn in einen Bildungsdünkel, den ich mit einem etwas
unschönen Wort „Vokabelfatzkenthum" nennen möchte.

Aber wie jeder Dünkel ist auch dieser sich seiner Achillesferse innerlich ganz
wohl bewußt. Lr geht deßhalb vorsichtig auf den Zehen, wo er sich dieselbe ver-
letzen könnte. Das ist jedoch ein wenig angenehmes Fortschreiten auf die Dauer,
und so kommt niemals eine rechte innere Befriedigung dabei heraus. Wenn für
ihn hinter dem ersten Wort, das in der Unterhaltung fallt, kein rechter Sinn mehr
liegt, so muß ein zweites Stichwort nachhelfen, und diesem ein drittes, damit die
„gebildete Konversation gemacht ist". Und da könnte immer Einer sein, der noch
eine Vokabel mehr hat! Wie mühsam ist dies Selbstgenügen I

Doch selbst der tiefer angelegte Gebildete leidet unter dieser Mühsal. Fast
Alles was er lernt, muß er gegen seine Neigung, mit einer fast erzwungenen An-
passung, lernen. Kein Wunder, wenn ihm bei naivem Glauben an die Zweck-
mäßigkeit des heutigen Erziehungswerkes das Gefühl kommt, als sei nur das
etwas werth, was in mühsamer Vergewaltigung gegen unser innerstes Selbst
errungen wird. Der brave Normalmensch, in dessen Kreise eigentlich der Schwer-
punkt unserer Kultur liegen sollte, hat daher am allermeisten den freudigen Muth,
das naive Kraftbewußtsein verloren, sich einem ästhetischen Eindruck. voll und

rückhaltlos hinzugeben. Er wagt gar nicht unmittelbar zu genießen, er ist zu
schüchtern, an eine innere plötzliche Offenbarung der Kunst zu glauben: die
Wissenschaft muß ihm erst den Garantieschein ausstellen, daß er sich erbauen darf.
Mit einem Auge blinzt er nach dem Kunstwerk, dann schielt er schleunigst mit
beiden auf Dame Kritik, ob sie auch nicht überlegen lächelt, und fragt dann unsicher :
„was für ein Stil ist denn das nun?"

Hiermit ist keineswegs gesagt, daß die Kritik überhaupt vom Uebel sei.
Sie kann es nur werden, wenn Sie sich amnaßlich vordrängt. Mit dem unmittel-
baren Kunstgenuß hat sie so gut wie nichts zu thun. Gestehen doch die gläubigsten
Kritiker dem höchsten Kunstwerk gegenüber „hingerissen" zu sein. Und wenn wir
Kritiker uns einmal an die Brust schlagen und uns fragen, ob der nicht zu leug-
nende Genuß, welchen auch das Kritisiren dem Geiste gewährt, den ans der un-
mittelbaren, rückhaltlosen Hingabe an das Kunstwerk auswiegt, der bei steter
Kritikborcitschaft leicht verloren geht, so sollten wir vielleicht das Bäuerlein be-
neiden, das sich über Bajazzo's Kreidefratze tobtlachen möchte.

Wir haben nun allerdings Grund, diese letztere Art des Genusses gut-
müthig zu belächeln. Aber wir haben wenig Grund, stolz darauf zu sein, daß es
uns Modernen bei einiger Dialektik bereits möglich ist, jedes Kunstwerk, schlecht-
hin jedes, mit einer Reihe von Warum und Weil als dumm und nichtsnutzig
hinzustellen. Da fragt man z. B.: „Ja, welchen Zweck hat denn die Peterskuppel?
Ja, welchen Sinn haben denn diese Schnörkel und Püppchen? Ja, welch' ein Stil
soll denn dies Gemisch nun aber vorstellen?" — Der verstand triumxhirt und die
Kunst ist todt, mausetodt — denn sie hat in den guten Leutchen eben niemals
gelebt! Sie setzt eben ein spezifisch ästhetische Empfindung, eine Gemüths-
bewegung aus sinnlich harmonischen Erscheinungen heraus, voraus.
Hinzutritt alsdann beim Kunstwerk allerdings noch meist der Gedanke, welcher
auch noch einen anderen Zweig unseres Seelenlebens erfreut, das Gebiet der
Er kennt» iß. Unsere Zeit betont die letztere so ausschließlich fast, daß man
nicht oft genug von der Einseitigkeit und dem verleugnen der Empfindung
warnen kann.

Die höchste geistige Erhebung, welche ein Kunstwerk gewähren kann, geht
aber erst aus der Vereinigung der Erkenntniß und der Empfindung hervor.
Während man die Empfindung als ererbtes Talent mitbringt, kann uns die
Erkenntniß durch die Wissenschaft übermittelt werden — allerdings aucb wieder
durch den ererbten verstand, aber der verstand ist allgemeiner verbreitet, als
spezifisch ästhetische Aufnahmefähigkeit. Doch auch die Empfindung kann erzogen
werden, wie denn überhaupt die Grenzen auf allen geistigen Gebieten bei der
Einheit unseres Geistes nicht scharf gezogen werden können. Eins beeinflußt das
Andere. Deßhalb behält auch die kritische Betrachtung ihren Werth und hierin
liegt auch ein gewisses Recht zu der Frage: „Was für ein Stil ist das nun?"

Auch aus der wissenschaftlichen Behandlung der Kunst läßt sich eine Ver-
mehrung und Verstärkung des Kunstgefühles gwinnen; dann allerdings nur, wenn
wir uns bewußt bleiben, daß dieselbe nur eine Seite des Kunstwerks berührt.
Fragt man nun aber unter dieser Voraussetzung nach dem Stil, so wird die
Antwort einen ganzen Band füllen müssen. Diesen zu schreiben, kann hier nicht
meine Absicht sein. Doch möchte ich wenigstens einige Punkte berühren, die wie
alles hier Gesagte uur zu weiterem Eingehen in ästhetische Betrachtungen an-
regen möchten.

Stil hat jedes Kunstwerk, und zwar ganz von selbst, ohne Zuthun
des Künstlers; ja, dann kann man es eigentlich „stilvoll" nennen, wenn es nicht
mit äußerlicher Absicht stilecht zusammengexappt ist. Denn unter Stil begreifen
wir die Gesammtheit derjenigen, von der eigentlichen Kunst id ee mehr oder minder
unabhängigen Merkmale, welche von der Art der Entstehung des Werkes —
im weitesten Sinne gefaßt — Zeugniß ablegen.

Wir sprechen deshalb von einer» Freskostil, einem musikalischen Kirchenstil,
einem Holzbaustil, einem michelangelesken Stil, einem seuilletonistischen Stil und
dergleichen mehr. Ls ist lediglich äußerliches Rebereinkommen, daß man auf dem
Gebiete der Baukuust und des Kunstgewerbes immer nur die geschichtlichen
Sondermerkmale einer Epoche als Stil schlechtweg behandelt. Für die eigentliche
Kunstauffassung sind die aus der Konstruktion und den Baustoffen sich ergebenden
Stileigenheiten weit wichtiger, als die in den Denkmälern niedergeschlagene Auf-
fassung der Vergangenheit vom äußerlichen Schmuck, der Linienführung und der-
gleichen mehr.

Das ist für den Grad des allgemeinen Verständnisses für das baukünstlerische
Schaffen sehr bezeichnend. Man würde runde Augen machen, wenn man verlangte,
daß z. B. ein Lutherfestspiel im Stile literarischer Frührenaiffance oder in gothischem
Uebergangsstil geschrieben werden sollte; und doch meinen Tausende mit sehr
großem Recht fordern zu dürfen, daß unsere Kirchen gothisch gebaut werden müßten.

Man sieht daraus, daß man im Allgemeinen von der Baukunst nur das
äußerlich Bezeichnende, die geschichtliche Fassung begreift, daß aber die Probleme der
Raumschaffung mit Abwägung der Verhältnisse, der Beleuchtung, der Farbe, daß
alles Rythmische, Harmonische dem Laien verborgen bleibt.

Daran ist freilich die Architektur zum größten Theile selbst schuld. Sie ist
keine volle Kunst; von der schlichten Bedürfnißbefriedigung schreitet sie meist nur
bis zur Höhe der Schneiderkunst vor, indem sie dem Bedürfniß ein modemäßiges
Gewand umhängt, und gelangt nun in ihren idealen Schöpfungen zu einer Höhe,
die sie der Musik, ihrer schaffensverwandten Schwester, an die Seite bringt.

(Schluß auf Seite 50 dieses Heftes.)
 
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