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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 2.1891

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Luthmer, Ferdinand: Die vier Elemente der Dekorationskunst
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Becker, Hermann: Wohnstuben im XVI. und XVII. Jahrhundert, [3]: eine kulturgeschichtliche und vergleichende Studie
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https://doi.org/10.11588/diglit.11379#0184

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Seite (58.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für „Innen-Dekoration".

November-Heft.

Vier Elemente sind es auch hier, die vereinigt dasjenige Hervor-
bringen, was wir eine dekorative Wirkung nennen. Und wenn uns
bei den meisten Erscheinungen diese Elemente in ihrer unmerkbaren
Wechselwirkung auf einander nicht zum Bewußtsein gelangen, so darf
doch nur eins derselben fehlen oder
in seiner Wirkung zurücktreten, um
uns durch die Empfindung des Un-
vollständigen an seine Nothwendig-
keit zu erinnern.

Nennen wir diese Elemente: es
ist die Raum gestalt, — der
M aa ß st a b, — die Beleuchtung
und die Farbe.

Sind die beiden zuletztgenannten
Jedem geläufig und als wichtige Fak-
toren bei jeder Dekorationswirkung
bekannt, so giebt man sich über die
beiden ersteren, die Gestaltung und
den Maaßstab des Raumes seltener
Rechenschaft. Und doch, welche über-
aus bedeutende Rolle spielt grade
die erstere in der Architektur! Wan
kann gradezu sagen, daß die ganze
Innen - Architektur auf ihr beruht,
denn wenn die Baukunst mehr sein
soll, als eine Dienerin des rohen
Bedürfnisses, dem Menschen einen
wettersicheren Unterschlupf zu ver-
schaffen — wenn sie auf der andern
Seite eine wesentlich andere Aufgabe
hat, als die Bildhauerei, der es ja
Vorbehalten bleibt, in ihren Gebilden
durch das Abbild eines bereits ge-
schaffenen einen bestimmten Gedanken
zu erwecken, so finden wir ihre schönste
Aufgabe darin: Räume zu gestalten, welche den in ihnen Weilenden
in eine bestimmte, vom Künstler gewollte Stimmung versetzen.

Zum Beweis des Gesagten vergleiche man in Gedanken den
Eindruck, welchen zwei Räume von verschiedener Bestimmung auf den

Beschauer ausüben; wählen wir, um recht verschiedenartige Beispiele
zu nehmen, das Innere eines Theaters und einer gothischen Kathedrale
— absolut als Raum genommen, ohne Dekoraiion und ohne Rücksicht
auf die verschiedene Stimmung, dis ^wir in den einen und den

andern Raum mitbringen. Der Ver-
gleich wird um so lehrreicher aus-
fallen, als bei aller Verschiedenheit
das Programm in beiden Bauwerken
verwandt ist; es handelt sich um
einen Innenraum zur Aufnahme einer
großen Volksmenge, deren Aufmerk-
samkeit auf eine in dem Raum vor-
gehende Handlung geleitet werden soll.
Aber in dem ersten Falle geht die
Handlung in breiter Entwickelung,
unter Aufbietung einer großen per-
sonenzahl vor sich: so ergiebt sich
für das Theater ganz von selbst als
Grundriß der Kreis, dessen eines
Viertel von dem Segment, welches
die Bühne enthält, abgeschnitten wird.
In der Kirche — wir sprechen natür-
lich von der alten, dem katholischen
Ritus dienenden Kathedrale --- wird
die heilige Handlung des Meßopfers
von wenigen Personen celebrirt; die
Stelle, wo sie stattfindet, bedarf des-
halb keiner Breitenentwickelung; da-
gegen wird es dem mystischen Tha-
rakter des Opfers entsprechen, wenn
man die demselben beiwohnende Ge-
meinde in feierlicher Entfernung
von der heiligen Handlung hält:
und es ergiebt sich die langgezogene
Form des gothischen Domes, die
mit der rythmischen Stellung seiner Pfeiler und den dazwischen ge-
spannten Bogen den Blick und die Gedanken unwillkürlich fort leitet
zu dem Allerheiligsten, dem Altar, der in dem schmalen, aber in allen
seinen Abmessungen zum Himmel aufstrebenden Thor seinen Platz

Abbildung Nr. 244. Speisezimmer mit Kuttchzimmrr (siche Beschreibung).

Ansgefübrt von Otto Lritzsche, München.


nyiistuveu im XV>. »nk XV». <-D>iyv-
Kundert.

Line kulturgeschichtliche und vergleichende Studie

von Hermann Becker. „

- (Forlsetzung.I

a wird gefabelt von reich geschnitzten Truhen und Schränken,
in welchen die, selbstverständlich stets „züchtige", in einem
äußerst kleidsamen Gretchenkostüm umherwandelnde Hausfrau
ihre „Linnenschätze" barg. Natürlich vergißt der begeisterte Forscher,
daß die Leinwand im XVI. Jahrhundert ungemein thcuer war und daß
die reich geschnitzte Truhe nicht aus dein Bürger-, sondern aus dem
Patrizierhause herstammt. Man vergißt auch, daß die Bürger zumeist
nur wollene Unterkleider trugen; ferner, daß zu Anfang des XVI. Jahr-
hunderts beide Geschlechter ohne Leinenhemd schliefen, weil sie keines
trugen, und Nachts nackend im Bette lagen. Linnenhemden waren in der
ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts noch so selten und kostbar, daß eine
deutsche Fürstin, Isabella von Bayern, welche es bis auf zwei Hemden
gebracht hatte, sehr wegen dieser Verschwendung getadelt wurde.
Noch zu Anfang des XVI. Jahrhunderts galt der Besitz eines leinenen
Hemdes für etwas Außerordentliches, denn die glücklichen Eigenthümer
ließen es am Halse und an den Händen sichtbar werden, damit Jeder-
mann die Pracht auch bewundern könne. Weil aber nicht alle Leute
diese kostspielige Anschaffung, wohl aber alle die Mode mitmachen
wollten, erfand man die Kragen, Halskrausen und Manschetten. Die
Halskrausen nannte man im XVI. Jahrhundert „Halshemden"; sie
wurden über dem wollenen Unterhemde getragen und haben sich nach
mancherlei Wandlungen in der Form, unter dem Namen Vorhemd
oder Lhemissette, bis auf den heutigen Tag im Gebrauch erhalten.

Man kann daraus ersehen, daß auch vor dreihundert Jahren
schon mancherlei Scheinwesen vorhanden war, was sich mit den land-
läufigen Begriffen der oft gepriesenen Solidität unserer Vorfahren in
der guten alten Zeit nicht deckt. Wie konservativ die Völker in manchen
Sitten sind, beweist der Umstand, daß unser gesegnetes Jahrhundert,
welches so viele und billige Leinwand erzeugt, die — Papier- und
Gummikragen, Vorhemden und Manschetten erfand, mit denen die
Angehörigen der zivilisirtesten Nation den Mangel an Leibwäsche
verdecken.

In dem Bestreben die gegenwärtigen Kunsthandwerker zu fördern
und zur Nachahmung der bedeutenderen alten Meister anzufeuern,
haben unsere 5llilgelehrten sich eine sehr romantische, anmuthige Kultur-
geschichte zurecht gemacht, bei der man das Ideal mit der Wirklichkeit
verwechselte. Weil reiche städtische Patrizier und Großkaufleute großen
Aufwand machten und die kleinen Fürsten und Herren darin über-
bolen — was ja auch heute noch geschieht — deshalb ist noch lange
nicht gesagt, daß der eigentliche Bürgerstand, also die Krämer und
Handwerksmeister, auch dergleichen Sprünge mitgemacht haben. Feine
Leinwand, reiche Geschirre, kostbare Kleider und kunstreich geschnitzte
Möbel waren im XVI. und im XVII. Jahrhundert viel kostspieliger
als heute, denn es fehlte das massenhafte Angebot unserer Tage,
welches die Preise erniedrigt und regulirt. Auch an Meistern, die
wirklich Vorzügliches leisteten war durchaus keine Ueberzahl vorhanden,
und zudem hatte das Geld einen ungleich höheren Werth wie in
der Jetztzeit.

Fast alle die Truhen, Schräncke, Sessel, Stühle und Tische, welche
jetzt als Musterleistungen alter Schreiner- und Schnitzkunst in Museen
und Privatsammlungen aufbewahrt werden, desgleichen die kunstvollen
Metallarbeiten in Silber, Zinn und Kupfer, die wundervollen Leistungen
 
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