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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 2.1891

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Moderne Möbel
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August-Heft.

Zllustr. kuu st g e w e rb I. Zeitschrift für „Innen-Dekoration".

Seite sh5.

^Moderne

Lr die Aesthctiker und die von ihnen beeinflußten Künstler seit der großen
Revolution bis über die Mitte unsres Jahr-
hunderts hinaus bedeutete das Rokoko den tiefsten
verfall, die Verwilderung aller Kunst und allen
reineren Schönheitssinnes. In diesen Anschauungen schreibt
ein Mitarbeiter der „Allg. Tischler-Ztg.", der wir diesen Artikel
entnehmen, hat sich ^neuerdings eine gründliche Wandlung
vollzogen. Die jüngere Generation der Theoretiker wie der
ausübenden Künstler, Architekten nicht ausgeschlossen, hat die
thörichte Einseitigkeit erkennen gelernt, die sich in solcher
Verurtheilung einer ganzen Kunstexoche offenbarte, einer
Epoche, die an bildnerischer, erfinderischer Kraft keiner andern
nachstand und deren Schöpfungen an Reichthum der Fantasie,

Annruth und Grazie nie übertrosfen worden sind. Besser als
die jedes andern Stils schmiegen sich auch die Möbel Louis XV.
unseren modernen Bedürfnissen an. wo es daraus ankommt,
den Eindruck des Gefällig-Graziösen, des Leichten und Ele-
ganten in einer Zimmereinrichtung hervorzubringcn, kommt
keine andere Art der Ausstattung dieser gleich. Sehr natürlich
ist es daher, daß, zumal für Damenboudoirs, der Rokoko gegen-
wärtig immer mehr und mehr beliebt wird und zur An-
wendung gelangt. Berliner Dekoratöre von feinsinnigem
und durchbildetem künstlerischen Geschmack und verständniß
haben auch in der Herstellung solcher Interieurs im Stil des
Rokoko das Außerordentliche geleistet. Moderne Bedürfnisse
und liebenswürdige individuelle Launen finden innerhalb des
stilechten Rahmens genügende Gelegenheit und Freiheit zu
ihrer Befriedigung, ohne daß dadurch nothwendig die Einheit
und Harmonie des Gesammtkarakters beeinträchtigt oder zer-
stört zu werden braucht, wie licht, heiter lauschig und trau-
lich muthet uns ein Zimmer an, welches xoesievoll ausgestattet
ist. Hier kommen die Hellen und die zartgebrochenen Töne
zu ihrem Recht; statt der schweren Stoffe der lichte Lretonne.

DasGetäselschrumpft
zum eleganten.Paneel
von der Höhe der
Stuhllehne zusam-
men. Dberhalb seines
Simses werden die
durch Rahmen oder
breite Streifen aus
lichtfarbigem, ge-
wachstem Nußbaum-
holz mit goldgehöhten
Leisten und Eckstücken
getheilten wand-
flächen mit Zeugtapeten von myrthen-
grünem Ton oder mit Lretonne-Gobelin,
diesem modernen, der glücklichsten Farben-
wirkungen fähigen Gewebe, bekleidet.
Am obern Wandgesims dominirt der Gold-
bronzeton. Um eine niedere Stufe gegen den
Boden des übrigen Zimmerraumes erhöht, gegen
die Thür hin durch eine von kunstreich ge-
schmiedetem beweglichem Träger herabfallcnde,
farbig gemusterte Portiere geschützt, gegenüber
durch eine niedrige, theilweise vergoldete, lau-
nisch geschmiedete, eiserne Gitterschranke von
;740 abgegrcnzt, bildet dieser von einem
Seitensenfier beleuchtete Theil des Zimmers ein
in sich abgeschlossenes reizendes Ganzes, welches
doch wieder in innigem Zusammenhänge mit
allen andern Theilcn der Einrichtung steht. Ein
Eckdivan füllt den Winkel der wand behaglich
aus. Auch für den Polsterbczug seines Sitzes
und seiner Rückenkissen empfiehlt sich hier als
Grundton ein feines Myrthengrün, in dessen
Fond als Mittel- und Eckstücke hellfarbige zarte
Blumendekors gestickt oder gewirkt sind. Die
passementeriearbeit des Besatzes, von welchem
lang und dicht herabwallcnde Fransen ausgehen,
ist im Kuxferton gehalten. Sessel mit ge-
schweiften Armlehnen und graziös geschwung-
enen, schlanken, mit Gold gehöhten Beinen, ein
Stuhl gleichen Formenkarakters mit runder,
Aurg-fichrt v. d. Sachs. Bronzewaarenfabrik holzumrahmter Rücklehne, ein lehnenloser Sessel,

vorm. X. A S-is-r«. Wunen. .

ein Sosatisch, ein Schreibtisch mit je zwei
Schiebkästcn zu beiden Seiten des nur einen Kasten enthaltenden Mitteltheils,
sie alle auf Beinen von demselben seinen Schwung der Linien ruhend, ihr licht-
gehaltenes Holz durch vergoldetes zierliches Schnitzwerk oder goldbronzene Be-
schläge gefällig verziert, bilden im klebrigen die Möbelausstattung dieser traulichen

Abbildung Nr. 2s0.»

Mmprl in maurischem Stil '

Mit 1 Innenflamme u. 6 Gasarmen.
Ausgeführt von L. A. Rieding er, Augsburg.

Abbildung Nr. 2N.
Vrsnxrstgur mit Beleuchtungs
körper.

Sachs. Br „

vorm. R. A. Seifert, Wurzen.

Ecke. Aus großen und kleinen, aus Holz geschnitzten und vergoldeten Rokoko-
konsolen an den wandfeldern und in dem Wandwinkcl über
dem Sofa finden altmeißener und altberliner Porzellanvasen
und Figürchen, zierliche venetianische Gläschen und sonstige
Kleinkunstwerke, andere auf dem Schreibtisch ihren geeigneten
Platz, vor jeder Ueberladung mit solchen Mbjekten, zumal
ohne strenge Auswahl in Bezug auf Farben, Formen und
künstlerische Ausführung, ist hier dringend zu warnen.

wenn wir schon neulich die Beschreibung eines großen
Möbelmagazins gegeben haben, fahren wir heute fort, ein
anderes großes Möbelhaus zu beschreiben. Nicht in einem
Magazin wähnt man sich zu befinden, wenn man diese
Flucht von Gemächern und Kabinetts durchwandelt; man hat
den Eindruck, in einem vornehmen Hanse zu weilen, dessen
vielgereister Besitzer mit feinem verständniß die reiche, kost-
bare Ausstattung geleitet und überwacht, hier und da auch an
passender Stelle ein aus fernen Ländern stammendes seltenes
Stück angebracht hat. Dieser Eindruck bemächtigt sich unser,
sobald wir den Fuß auf jdie Treppe des Hauses setzen.
An den wänden Teppiche, Gobelins, Bronzeschilde, irgend
ein malerisch hingeworfener Stoffsetzen. Lin Tam-Tam-
Schlag ertönt, als wir den Empfangssaal im ersten Stock
betreten. Eine wunderbar harmonische Verschmelzung von
Barock und Rokoko mit einem fantastischen Zusatze asiatischer
Kunstfertigkeit — das ist dieser Salon. Die wandtaxete zeigt
die zarte FarbennLance „getrocknete Myrthe". Und wie präch-
tig vermählt sich mit dieser „getrockneten Myrthe" das
Heliotrop und das Violett der Möbelstoffe, vom Plafond
schweben zwei Kr^stallkronen, Kopien aus dem Weißen Saal
des königlichen Schlosses, herab; zwischen ihnen hängt eine
überaus graziös gestaltete pariser Bronzckrone. An den
Fenstern steigen aus zwei bauchigen Porzellan-Behältern mit
bizarrbiinteni,
bildlichemSchniuck
zwei japanische
Girandolcs leich-
ten Wuchses em-
por. Eine Thür-
einsassung wird
von einem Lam-
brequin mit an-
tiken Galons und
kunstvoller Relief-
stickcrci verhüllt.

In einer Ecke ist
unter breitblätter-
igen Palmen ein köstliches Ruheplätz-
chen bereitet. In diesem Lmpsangs-
salon wird das Auge durch so man-
chen eigenartigen Gegenstand gefesselt.

Da steht z. B. ein Harmonium, das durch
aufgelegte goldglänzende Rokoko-Schnörkel ein ori-
ginelles Gepräge erhalten hat. Die vornehme
Reservirtheit und die steife Grandezza des anolen
roAirne scheint ein Möbel aus dem achtzehnten
Jahrhundert zu athmen. Es ist ein Sekretär- und
Ziecspind; mit seinem schlanken Aufsatz und den
gespreizten, bauchig geschweiften Schubfächern ge-
mahnt es fast an eine alte Donairiere mit spindel-
dürrer Taille und weitabstehendem Reifrock. Den
Sammler und Kunstfreund wird die auf einer
Etagere aufgebaute getreue und sehr werthvolle
Nachbildung eines Porzellanschatzes, welchen einst
Friedrich der Große für die Kaiserin Katharina
von Rußland hat unfertigen lassen, auf das Leb-
hafteste interessiren. Das Vriginal und die Nach-
bildung stammen aus der königlichen Porzellan-
manufaktur. Sehr reizend ist eine sogenannte
„servLute cle sslon", wie sie von der eleganten
Pariser Damenwelt sehr häufig benutzt wird und
die auch anfängt, sich in den Salons anderer Groß-
städte einzubürgern. Die „servante rle salon" ist
ein sehr leicht und zierlich gebauter Aufwartetisch, Abbildung Nr. 2;2.

der gleichsam aus zwei Etagen besteht; er hat eine Wponzrstglivm.Beleuchtungs.
obere und eine untere Platte. Die obere zeigt körper.

einen aufgelegten Blumenschmuck von duftigster Ausgef. v. d. Sachs. Brouzewaar-nfabrik

.. . __ - . , vorm. n. A. srifrrl, Wurzen.

Zartheit. Sowie das Tischchen zum Servicen be-
nutzt wird — zum Beispiel beim tlve o'clock tea — breitet man eine schützende
Decke über die servaute und an ihren seitwärts angebrachten Griffen wird sie
mit Thee, Gebäck, Liqueurflaschen und dergleichen von Dienern hereintragen.! Im
ersten Stock befindet sich ein Boudoir, welches das hellste Entzücken aller Be-
 
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