April-Heft.
Illustr. kunstgcwerbl. Zeitschrift für „I nn e n - D e k o r a t ion".
Seite 53.
Von Georg Bötticher.
sich die Mode der eigenartigen Erzeugnisse Nippon's
bemächtigt hat, droht die Gefahr, daß die feinsinnigen, ge-
bildeten Kreise ihr Interesse von denselben abwenden möch-
ten, sei es auch nur, um mit der großen Menge nicht ein und desselben
Geschmacks zu sein. Das wäre in mehr als einer Hinsicht sehr zu
beklagen und hieße das Kind mit dem Bade ausschütten. Denn nicht
eine vorübergehende Modeneigung, das tiefstgehende Interesse viel-
mehr, den ernsthaftesten Antheil verdient die geniale Dekorationskunst
bes kleinen asiatischen Völkchens. Aus dem Wüste der Tagesinein-
ungen, die sich bekämpfen und zu überschreien suchen, wird cs sich
vereinst Herausstellen, daß wir in den Japanern das auf dekorativen:
Gebiete genialste Volk unserer Tage auzuerkennen haben. Schärfste
, Naturbeobachtung, liebevollstes Versenken in die Formen- und Farben-
wclt ihrer Fauna und Flora, Erfindungsgabe, die sich in zahllosen
Techniken kund gibt, wunderbare Sicherheit in der Wiedergabe der
Formen und eine geradezu verblüffende Feinsinnigkeit in: Koloriren,
gepaart mit der denkbar größten Farbenfreudigkeit Alles dies ver-
schafft den Japanern den ersten Rang unter den kunstgewerbtreibenden
Völkern. Um die Leistungsfähigkeit dieses Volkes ganz zu würdigen,
bedarf es freilich einer Vertrautheit mit den eigentlich künstlerischen
Erzeugnissen, die natürlich nicht in jedem Iapanwaaren - Laden zu
sehen sind, sondern die Sammlungen des Renners und Liebhabers
füllen, in Museen und höchstens den größeren Bazaren von London,
Paris und allenfalls auch in Berlin angetroffen werden. Aber selbst
in den Massenerzeugnisscn, die allerorts ausliegen, in der allerge-
wöhnlichsten Dutzendwaare, die zu wenig Pfennigen das Stück bei
uns verkauft wird, ist der geniale Zug eines formen- und farben-
gebildeten Volkes unverkennbar. Es wiederholt sich hier eine Er-
scheinung, die uns bei den antiken Töpserwaaren
aus der Müthezeit griechischer Kunst aussällt.
Auch an diesen, und zwar in jeden: Scherben
irgend welchen Thongefäßes, das Gott weiß welcher
obskurer Töpfer nach eigenen: Entwürfe angefertigt
haben mag, ist etwas von den: wunderbaren
Formenverständniß, von der Proportionsfeinheit
zu spüren, die den: Griechen jener Epoche in
Fleisch und Blut übergegangen waren.
Wohl berührt uns Europäer ein großer Theil
der japanischen Kunsterzeugnisse, besonders der
mit figürlichen Darstellungen, wunderlich,
wohl gar unnatürlich oder absurd. Aber
bei tieferen: Eindringen, bei näherer und
wiederholter Betrachtung verliert sich diese
Empfindung und macht einer immer
wachsenden Bewunderung vor der Natur-
treue dieser Darstellungen Platz. Denn
das, was uns fremdartig und unnatür-
lich anmuthen will, ist eben in Wirk-
lichkeit für unsere Begriffe so neu und
wunderlich, daß wir die Schuld auf den
diese wunderlichen Dinge darstellenden
Künstler wälzen, während dieser nur
treulich abschrieb, was sich ihm in der Natur darstellte. Jeder, der
Japan besucht oder Land und Leute eingehend studirt hat, wird dies
bestätigen. Die durch klimatische Verhältnisse, religiöse Gebräuche
u. A. bedingten Lebensgewohnheiten schaffen in Kleidung, Gang,
Abbildung Nr. :58.
Haltung, Essen und Trinken der Bewohner so viele nach unseren
Begriffen wunderliche Erscheinungen, daß es keineswegs für den
in diese Dinge Uneingeweihten möglich ist, den Künstler, der diese
Erscheinungen darstellt, aus die Richtigkeit seiner Wiedergabe zu
kontrolliren.
Ferner kommt bei der Beurtheilnng japanischer Kunsterzeugnisse
in Betracht, daß die Kunst
Japans in erster Linie eine
dekorative ist und mit vollster
Absichtlichkeit sein will. Hält
man dies fest und verlangt
nicht von ihr Darstellungen,
wie sie unsere Künst-
ler anstreben, so
muß inan ihr neben
d ein genialen Er-
fasse >: des Deko-
rativen auch noch höchst karakteristischs Zeichnung, Hu-
mor, Grazie, kurz mancherlei Eigenschaften zugestehen, in
denen sie der europäischen nicht nachsteht, ja sie häufig
übertrifft.
Vor Allem aber werden wir immer wieder aufs Neue
die Fähigkeit der Japaner bewundern müssen: die Formen-
welt ihrer einheimischen Pflanzen und niederen Thiers
den: jew.iligen zu verzierenden Gegenstand, sei es nun
ein präsentirbrett, eine Fayence-Schale, ein Dolchgriff, ein
Seidenstoff oder eine Papiertapete, anzupassen, und zwar
in der Weise, daß
entspricht, was seinen Funktionen nach von ihm zu verlangen
ist, und daß dennoch auch die zu seiner Verzierung benutzte Pflanzen-
oder Thiersorm mit Wahrung ihres Karakters voll zur Erscheinung
gelangt. In dieser Hinsicht sollten uns die Japaner geradezu vorbild-
lich sein. Der japanische Dekorationskünstler sieht, so scheint es, eine
Pflanze, einen Schmetterling, einen Käfer sozusagen mit dem Auge
einer bestimmten Technik an und gibt den Gegenstand sogleich mit
Rücksicht aus diese Technik wieder. Deshalb plagt er sich nicht mit
Unmöglichkeiten ab, wie vielfach unsere Musterzeichner, die, nach vor-
gefaßten Meinungen, nach künstlich ihnen beigebrachten Stildogmen
gewisse pflanzliche oder der Thierwelt entlehnte Motive für alle mög-
lichen Techniken anzuwenden unternehmen und dabei entweder den:
Gegenstand oder der Zierform Gewalt anthun und sonnt etwas Ab-
surdes, im besten Fall etwas Konventionelles schaffen. Es würde
ebenso interessant wie belehrend sein, an Beispielen einmal zu zeigen,
wie der Japaner ein und dieselbe Pflanze, z. B. das Thrysanthemum,
auf einen: Gewebe, auf einem lackirten Theebrett, an einer emaillirten
Vase, als Vignette in einem Buche, aus einer Papiertapete, als
ziselirte Arbeit an einem Dolch usw., darstellt und wie er in jeder
dieser Techniken, so sehr sie unter einander verschieden sind, immer
der Pflanze sowie der Technik gerecht wird. Ein Wink, den unsere
Damen beachten sollten, die ihre Männer mit Stickereien zu erfreuen
pflegen, zu denen sie leider nicht selber — wie dies in früheren Jahr-
hunderten ganz allgemein gebräuchlich war — die Komposition ge-
macht haben. Welcher Reiz darin liegt, eine Zeichnung, die man
sticken will, selbst zu erfinden, und wie gerade die Freude an der
eigenen Erfindung über die Langeweile der mechanischen Nachbildung
der Vorzeichnung hinweghilft, das weiß Jeder, der sich in diesem
Illustr. kunstgcwerbl. Zeitschrift für „I nn e n - D e k o r a t ion".
Seite 53.
Von Georg Bötticher.
sich die Mode der eigenartigen Erzeugnisse Nippon's
bemächtigt hat, droht die Gefahr, daß die feinsinnigen, ge-
bildeten Kreise ihr Interesse von denselben abwenden möch-
ten, sei es auch nur, um mit der großen Menge nicht ein und desselben
Geschmacks zu sein. Das wäre in mehr als einer Hinsicht sehr zu
beklagen und hieße das Kind mit dem Bade ausschütten. Denn nicht
eine vorübergehende Modeneigung, das tiefstgehende Interesse viel-
mehr, den ernsthaftesten Antheil verdient die geniale Dekorationskunst
bes kleinen asiatischen Völkchens. Aus dem Wüste der Tagesinein-
ungen, die sich bekämpfen und zu überschreien suchen, wird cs sich
vereinst Herausstellen, daß wir in den Japanern das auf dekorativen:
Gebiete genialste Volk unserer Tage auzuerkennen haben. Schärfste
, Naturbeobachtung, liebevollstes Versenken in die Formen- und Farben-
wclt ihrer Fauna und Flora, Erfindungsgabe, die sich in zahllosen
Techniken kund gibt, wunderbare Sicherheit in der Wiedergabe der
Formen und eine geradezu verblüffende Feinsinnigkeit in: Koloriren,
gepaart mit der denkbar größten Farbenfreudigkeit Alles dies ver-
schafft den Japanern den ersten Rang unter den kunstgewerbtreibenden
Völkern. Um die Leistungsfähigkeit dieses Volkes ganz zu würdigen,
bedarf es freilich einer Vertrautheit mit den eigentlich künstlerischen
Erzeugnissen, die natürlich nicht in jedem Iapanwaaren - Laden zu
sehen sind, sondern die Sammlungen des Renners und Liebhabers
füllen, in Museen und höchstens den größeren Bazaren von London,
Paris und allenfalls auch in Berlin angetroffen werden. Aber selbst
in den Massenerzeugnisscn, die allerorts ausliegen, in der allerge-
wöhnlichsten Dutzendwaare, die zu wenig Pfennigen das Stück bei
uns verkauft wird, ist der geniale Zug eines formen- und farben-
gebildeten Volkes unverkennbar. Es wiederholt sich hier eine Er-
scheinung, die uns bei den antiken Töpserwaaren
aus der Müthezeit griechischer Kunst aussällt.
Auch an diesen, und zwar in jeden: Scherben
irgend welchen Thongefäßes, das Gott weiß welcher
obskurer Töpfer nach eigenen: Entwürfe angefertigt
haben mag, ist etwas von den: wunderbaren
Formenverständniß, von der Proportionsfeinheit
zu spüren, die den: Griechen jener Epoche in
Fleisch und Blut übergegangen waren.
Wohl berührt uns Europäer ein großer Theil
der japanischen Kunsterzeugnisse, besonders der
mit figürlichen Darstellungen, wunderlich,
wohl gar unnatürlich oder absurd. Aber
bei tieferen: Eindringen, bei näherer und
wiederholter Betrachtung verliert sich diese
Empfindung und macht einer immer
wachsenden Bewunderung vor der Natur-
treue dieser Darstellungen Platz. Denn
das, was uns fremdartig und unnatür-
lich anmuthen will, ist eben in Wirk-
lichkeit für unsere Begriffe so neu und
wunderlich, daß wir die Schuld auf den
diese wunderlichen Dinge darstellenden
Künstler wälzen, während dieser nur
treulich abschrieb, was sich ihm in der Natur darstellte. Jeder, der
Japan besucht oder Land und Leute eingehend studirt hat, wird dies
bestätigen. Die durch klimatische Verhältnisse, religiöse Gebräuche
u. A. bedingten Lebensgewohnheiten schaffen in Kleidung, Gang,
Abbildung Nr. :58.
Haltung, Essen und Trinken der Bewohner so viele nach unseren
Begriffen wunderliche Erscheinungen, daß es keineswegs für den
in diese Dinge Uneingeweihten möglich ist, den Künstler, der diese
Erscheinungen darstellt, aus die Richtigkeit seiner Wiedergabe zu
kontrolliren.
Ferner kommt bei der Beurtheilnng japanischer Kunsterzeugnisse
in Betracht, daß die Kunst
Japans in erster Linie eine
dekorative ist und mit vollster
Absichtlichkeit sein will. Hält
man dies fest und verlangt
nicht von ihr Darstellungen,
wie sie unsere Künst-
ler anstreben, so
muß inan ihr neben
d ein genialen Er-
fasse >: des Deko-
rativen auch noch höchst karakteristischs Zeichnung, Hu-
mor, Grazie, kurz mancherlei Eigenschaften zugestehen, in
denen sie der europäischen nicht nachsteht, ja sie häufig
übertrifft.
Vor Allem aber werden wir immer wieder aufs Neue
die Fähigkeit der Japaner bewundern müssen: die Formen-
welt ihrer einheimischen Pflanzen und niederen Thiers
den: jew.iligen zu verzierenden Gegenstand, sei es nun
ein präsentirbrett, eine Fayence-Schale, ein Dolchgriff, ein
Seidenstoff oder eine Papiertapete, anzupassen, und zwar
in der Weise, daß
entspricht, was seinen Funktionen nach von ihm zu verlangen
ist, und daß dennoch auch die zu seiner Verzierung benutzte Pflanzen-
oder Thiersorm mit Wahrung ihres Karakters voll zur Erscheinung
gelangt. In dieser Hinsicht sollten uns die Japaner geradezu vorbild-
lich sein. Der japanische Dekorationskünstler sieht, so scheint es, eine
Pflanze, einen Schmetterling, einen Käfer sozusagen mit dem Auge
einer bestimmten Technik an und gibt den Gegenstand sogleich mit
Rücksicht aus diese Technik wieder. Deshalb plagt er sich nicht mit
Unmöglichkeiten ab, wie vielfach unsere Musterzeichner, die, nach vor-
gefaßten Meinungen, nach künstlich ihnen beigebrachten Stildogmen
gewisse pflanzliche oder der Thierwelt entlehnte Motive für alle mög-
lichen Techniken anzuwenden unternehmen und dabei entweder den:
Gegenstand oder der Zierform Gewalt anthun und sonnt etwas Ab-
surdes, im besten Fall etwas Konventionelles schaffen. Es würde
ebenso interessant wie belehrend sein, an Beispielen einmal zu zeigen,
wie der Japaner ein und dieselbe Pflanze, z. B. das Thrysanthemum,
auf einen: Gewebe, auf einem lackirten Theebrett, an einer emaillirten
Vase, als Vignette in einem Buche, aus einer Papiertapete, als
ziselirte Arbeit an einem Dolch usw., darstellt und wie er in jeder
dieser Techniken, so sehr sie unter einander verschieden sind, immer
der Pflanze sowie der Technik gerecht wird. Ein Wink, den unsere
Damen beachten sollten, die ihre Männer mit Stickereien zu erfreuen
pflegen, zu denen sie leider nicht selber — wie dies in früheren Jahr-
hunderten ganz allgemein gebräuchlich war — die Komposition ge-
macht haben. Welcher Reiz darin liegt, eine Zeichnung, die man
sticken will, selbst zu erfinden, und wie gerade die Freude an der
eigenen Erfindung über die Langeweile der mechanischen Nachbildung
der Vorzeichnung hinweghilft, das weiß Jeder, der sich in diesem