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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 2.1891

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Kumsch, Emil: Pflanzen-Studium und Stil, [3]
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Bücherschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11379#0092

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Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für „Inn e n-De ko ra t io n

D7ai-Heft.

Seite 74.

flattzen

rtuöium rmö

Don Bibliothekar E. Au in sch. (Schluß.)

uch Hoflnalln-Plaueu drückt in seinem Artikel „lieber französische und deutsche
^ ^ gewerbliche Lehranstalten" in der wissenschaftlichen Beilage znr „Leipziger
Zeitung" l8f>o Nr. sOZ sein Befremden darüber ans, wie ungenügende Resultate
die Ausstellung französischer Zeichenschulen auf der letzten Weltausstellung in Paris
gezeigt habe, auch ihm erscheint der Zwiespalt mit der hochentwickelten, vollendetes
schaffenden Industrie unerklärlich.

Noch eines Werkes möchte ich bei Frankreich gedenken, des ältesten „Rlbuut
llu llsssinuteur" von Tuffet L Genod, s8»2 erschienen. Es bildet ein Konglome-
rat der verschiedensten versuche; Louis XVI. in manierirter Form, kapriziöse
Ideen, wie die Umbildung von Blumenformen zu Schmetterlingen usw., vor
Allem aber die merkwürdige Erscheinung der Mischung des ausgesprochendsten
Naturalismus mit dem wenigst organischen Stile, der jemals herrschte, dem
Maurischen. Diese Erscheinung ist mir schon wiederholt vorgekommcn, daß also
Zeichner, die nur den Naturalismus, das Pflauzenstildiuiu gelten lassen, allen
Stilarten unzugänglich waren, außer dem Maurischen, vier wie überall: die
Gegensätze berühren sich.

England ist vertreten durch Abbildungen aus kunstgewerblichen Zeitschriften,
die alle eine frische Auffassung der Naturformeu zeigen.

Au Werken begegnen wir den Formensammlungcn von Halte „plant stullies"
und Hulme „plunt korm", dem streng geometrisch arrangirendeu Welby pugin
„tloriutell Ornament" und dem eigenartigeren Lölling „ast koliaZe", der seine
plastisch durchgeführteu Pflanzenformcu in gothische Grundflächen komponirt. Day
„sustsnees ok aceesaorvart", Ward „lleliueutor ok möllern Ornament" und Dresser
„mollern ornamentatlon" geben zum Theil fein empfundene, bei Letzterem aller-
dings häufig mit schnurrigen Ideen gemischte Erfindungen.

Erwähnt sein mögen auch die zo Blätter mit pflauzeuformeu aus der
allbekannten Grammatik der Ornamente von Gwen Jones, die bereits im Jahre
t85>6 erschien. Es war dies einer der ersten jener Männer, die dem Studium der
historischen Stile durch ihre heute noch hochstehenden Sammelwerke eine Bahn
brachen, von hervorragendem Interesse sind die Werke von Hulme: „plant form",
„plauts, tlrelr natural grovvtlr", „prlneiples ok ornamental art", „art stullles krom
nature", „su^Zestlons in tlorel llesiAn". Es sind auf pflanzlichem Gebiete fünf
größere Werke, die in der Reihenfolge ihres Erscheinens von der reinen Naturform
ausgehend nach dem stilistischen Ziele zu fortschreiteu, allerdings ohne einen
wesentlich eigenartigen Karakter anzunchmcn. Die englischen Tapeten aus den
Jahren s878—s880 zeigen, häufig in geometrischen Feldern, Pflanzenformen in
eigenartiger Auffassung und Verwendung.

Amerika ist vertreten durch eine Unzahl Buntdruckkarten der bekannten
Firma prang äc Lo. in Boston — der Inhaber ist ein Deutscher von Geburt
die sich allerdings vielfach ans Japanische anlehnen. Weiter sehen wir Abbild-
ungen aus kunstgewerblichen Zeitschriften, unter denen eine Anzahl Service be-
reits eigenartige Dekorationen anfweisen. Endlich finden wir inehrere Werke
(llet-ül Ornament, art llesi^nes, art rvorker), die aus Beiträgen verschiedener
Künstler gebildet sind, unter denen ein G'Kane wegen seiner durchwegs eigen-
artigen Motive besonders hervorzuhebeu ist.

Es wirkt jedenfalls überraschend, daß das nüchterne England und das
Land der Mechanik, der Maschine, Amerika, i>n Stande waren, auf unsrem Ge-
biete die anderen Länder zu überholen, an Eigenart zu übcrtrcffen.

Meine perreu, die Ausstellung hat uns also gezeigt, daß wir von einem
etwa erhofften neuen Stile noch weit entfernt sind; die einzelnen Bestrebungen
standen außer dem gemeinsamen Ziele in absolut keinem Zusammenhänge. Wie
sich die ganze Bewegung in Znkunft entwickeln wird, das vorher sagen zu wollen,
wäre kühn! Aber auf Lines, meine Herren, möchte ich mir gestatten, Ihre Auf-
merksamkeit zu lenken: In den englischen sowohl als namentlich den amerikanischen
Erzeugnissen erscheint das pflanzliche verwachsen mit konstruktiven Grundformen,
wenigstens in konstruktivem Aufbau. Bei den amerikanischen ist durch einige
Motive unzweifelhaft bewiesen, daß der betreffende Zeichner mit der Maschine,
der Mechanik sich beschäftigt hat. Der praktische Sinn der Engländer und Ameri-
kaner scheint sich dem konstruktiven Element auch in der Architektur am Meisten
zuzuneigen, die Gothik spielt in England fast noch als Uebcrliefcruug eine be-
deutende Rolle, was vielleicht außerdem auch noch mit seiner pietistischen Richtung
zusammenhäugt.

In Architektur und Kunstgcwcrbe haben wir struktive und dekorative Formen.
Die außerordentlich fein empfundene formelle Ausbildung, die die struktiven Ele-
mente, z. B. die Säule in ihren einzelnen Theilcu, die Theile der Gefäße »sw.,
in der griechischen Kunst erhielten, werden wir voraussichtlich immer bcibebalteu,
wenn wir auch mit den Motiven der Verzierung dieser Theile wechseln; bezüglich
der dekorativen Formen dagegen sind wir ungebunden, wie wir in der Gothik
bereits neben der strengen Konstruktion einer häufig ziemlich naturalistischen De-
koration begegnen. Sollte es, frage ich nun, bei dem Ucberhaudnchmcn des
Eisenbaues unmöglich erscheinen, daß in Zukunft der Architekt und der Techniker
unserer Tage in einer Person sich vereinigen und daß das Denken und Fühlen
der Zeit, das sich bereits jetzt in so unendlich vielen Fällen nur um die Maschine
dreht, in dieser Richtung die verziernngsweise beeinflussen wird, daß also auf
geometrischer Grundlage eine Formenwelt sich bildet, die losgelöst von allen
Keberliescrungen ebenso willig den Naturalismus in einer eigenen Umgestaltung
aufnehmeu könnte, wie wir bisher den alten Stilen die Herrschaft eiuräuiuten?

Aber, meine Herren, selbst wenn mir in die Lage kämen, einen neuen
Stil zu besitzen, können wir dann diesen einen Stil allgemein und ausschließlich

anwenden, würden wir dann auf die bisher geübten historischen Stile gänzlich
verzichten können? Ich glaube: Nein! Durch die Liscnschieuen, die den Leib
der Mutter Erde umgürten, ist in» Verein mit den wogendurchfurchenden Schiffen
der Westen mit dem fernen Osten, der Norde» mit dem heißen Süden in engste.
Verbindung gebracht worden. Durch die Einführung der Gewcrbefreiheit und
die Umgestaltung der Finanzpolitik sind die hindernden Schranken gefallen, mit
denen zarte Fürsorge für die treuen Untcrthanen durch Absperrung der Grenzen
früher jedes Ländchcn umgab. Während früher jedes Land also mehr oder
weniger in sich abgeschlossen und die Bevölkerung auf die Bedürfnisse des eigenen
Städtchens mit seiner allernächsten Umgebung angewiesen war, ist heute an Stelle
des Jahrmarktes, der alle Betheiligten früher in Bewegung brachte, sie alle
zur Metropole ihres Landkreises heranzog, der Weltmarkt getreten und mit
ihm an Stelle des kleinen Handwerkers, der allein oder mit wenigen Gehilfen
die ihm übertragenen Aufträge hinlänglich zu befriedigen im Staude war — der
Industrielle, der Fabrikant. An Stelle des beschränkten Absatzes trat die
Beschränkung in der Art des Erzeugnisses seines Artikels, der, mehr oder weniger
zur Spezialität ausgebildet, nicht mehr Absatz findet im engen Kreise, der sich
selbst über Ozeane seinen Meg suchen muß.

Durch diese Verbreitung seines Artikels nach West und Ost, nach Nord
und Süd ist es aber unmöglich geworden, in Bezug auf die künstlerische Aus-
gestaltung Alles über einen Leisten zu schlagen. Der heißblütige Süden will
leichtere, luftigere Formen als der ernstere, solidere Norden; der Transport auf
dem Seewege und in der großen Hitze bedingt Veränderungen in der Konstruktion.
Wer würde es wohl unternehmen, schwere Eichenholzmöbel, wie sie der Renaissance-
stil erzeugt, nach Süd-Amerika oder Australien zu senden? Sie vermögen wohl
bei uns eine behagliche Stimmung zu erzeugen, dort würden sic die Luftbewegung
verhindern, eine stagnireude Wirkung habeil, ihre Ecken würden zum Schlupf-
winkel für allerhand Ungeziefer werden, ganz abgesehen davon, daß das „lcimerne
Bild", die schöne Schrankfassade mit ihren Pilastern und Ornamenten wahrschein-
lich durch die feuchte Seeluft und die große Hitze in ziemlich verwahrlostem Zu-
stande ankommcn würde, ebelisowenig dürften unsere Polstermöbel für solche
Zwecke tauglich erscheinen. Die Oualität, das leichtere oder schwerere Gewebe,
wie es der Süden und der Norden bedarf, bedingen auch eine leichtere oder
schwerere Grnameutation; die Farbengebung wird eine veränderte sein müssen,
je nachdem sie für den grauen Himmel des Nordens oder die sonnigen Tage des
Südens bestimmt ist. Auch der Natioualkarakter Und die Religion, vor Allein
aber die etwa vorhandenen stilistischen Traditionell der verschiedenen Völker wer-
den ihren Einfluß auf Grundform und Durchbildung der Gegenstände ausüben,
so daß wir mit einem einheitlichen Stile sicher nicht den Weltmarkt be-
herrschen können, auf den wir bei der Ueberfüllnng des Industriemarktcs ange-
wiesen sind.

England, das zu klein ist, um seiner riesenhaften Industrie im Innern
Absatz verschaffen zu können, und Amerika, das groß geling ist, um allen ver-
schiedenen Ansprüchen im eigenen Lande zu begegnen, sie sind die beiden Länder,
die längst über die Schulweisheit auf unserem Gebiete zur Tagesordnung über-
gingen. Sie huldigen lediglich dein Zweckmäßigkeit-Prinzip, nehmen was ihnen
paßt, aus dem oder jenem Stile und verarbeiten diese Motive miteinander. Es
ist selbstverständlich, daß auf diesem Wege viel — vielleicht sehr viel unterläuft,
was dem aesthetisch geschulten Deutschen als unschön, abscheulich erscheint. Lilien
Vorläufer dieser Richtung hatten die Engländer bereits in dem Architekten Thom.
Chippendale, der in seinen Entwürfen das Rokoko seiner Zeit (s758) ohne Be-
sinnen mit den Formen des Lhinesischen und des gothischen Stiles vermischte,
seine geschwungenen Möbel mit chinesischen Flachmnstern und mit gothischen
Fialen usw. „schmückte".

Mag man null auch in einzelnen Motiven der englischen und amerikanischen
Blätter den japanischen Einfluß erkennen, bei manchen auch eine Anlehnung
an das Lgyptische und Assyrische, und mag selbst den besten Motiven ein kapriziöser
Karakter, der jedenfalls aber voll einem seinen Gefühl zeugt, nicht abzusprechen
sein, so ist, während sich bei uns noch Mode mit Mode überhastet, Jenen eine
eigenartige Auffassung nicht abzusprecheu, die Eigenartigste der ganzen Ausstellung.

ü chevsch au.

Die Nevalution in dev bildenden Nnnst betitelt sich ein Werk von
Robert Mielke, welches soeben im Verlage voll Julius Bohlte in Berlin er-
schienen ist. Der Verfasser, der sich auf dein Gebiete der Kunstkritik einen ge-
achteten Namen erworben und namentlich durch seine Broschüre: „Die Münchener
Kunstgewerbe-Ausstellung in Bezug auf Stil und Zeichenunterricht" die allgemeine
Aufmerksamkeit der betheiligten Kreise auf sich gezogen hat, erweist sich auch in
dem vorliegenden Werke als ein Mann von eigenen, originellen Gedanken, welche
zum Theil von einer geradezu niederschmetternden Wirkung sind und wie Kenlcn-
schläge wirken in einer Zeit, die wie die unsrige in den Fesseln des Autoritäts-
glaubens einerseits und des krassen Naturalismus andererseits schmachtet. Ne!
der Fülle der in dein Buche enthaltenen Gedanken ist es unmöglich, in dem engen
Rahmen dieser Kritik ein anuäherudes Bild von seinem Inhalt zu gebe»; man
muß das Buch, welches in dieser Beziehung an „Rembrandt als Erzieher" erinnert,
eben selbst lesen. Der Verfasser sieht in unsrer Zeit mit ihrem Gären und Ringen
auf allen Gebieten die Wiege einer neuen Morgeuröthc in der Geschichte der
Menschheit und vorzugsweise in der deutschen Kunst. Ans dein Entwickelungsgang,
welchen die letztere »ach s87o/7s genommen hat, beweist er, daß die Kunst national
wird und werden muß. In dem Kapitel „Die Demokratie in der Kunst" legt er
dar, daß das gegenwärtige Kunstschaffen eine Reaktion gegen das Dogma einer
ungesunden Acsthetik ist, welche die absolute Ineiusbildung voll Form und Stoffe
die Aufhebung der Wirklichkeit anstrcbt. Vermenschlichung der Kunst, Erfrischung
derselben durch Motive aus dem von ihr bisher verachteten vierten Stand ist das
Karakteristikum moderner Kunstbcstrebungcn. Die weiteren Kapitel sind jedes für
sich ein kleines Meisterwerk voll einer derartigen Gedankenfülle die selbst auf die
 
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