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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 2.1891

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Böttcher, F.: Norwegische Volksindustrie
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https://doi.org/10.11588/diglit.11379#0134

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August--Heft

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für „In n e n-De ko ratio n".

Leite P3.

Norwegische WolksinSuflrie.

^is vor wenigen Jahren war die Volksin-
dustrie ein den Meisten unbekanntes und
unbeachtetes Gebiet, von dein man wenig-
stens nicht annahm, daß es irgend praktisches In-
teresse darbieten könne. Nach und nach
wurde man jedoch darauf aufmerksam,
daß diese bescheidenen Arbeiten der Bauern
doch vieles der Beachtung werthes, manch
eine gesunde, halbvergessene Lehre, manch
einen lebenskräftigen Keim enthielten. Es
zeigte sich, daß die Volksindustrie an man-
chen Orten mit bewundernswerther Treue
die Traditionen aus der Glanzperiode der Kunst
und des Geschmackes bewahrt hatte, daß die For-
men und Arbeitsarten längst vergangener Zeiten
hier ncch fortlebtcn und täglich benutzt wurden,
wenn auch unter ärmlichen Verhältnissen und auf
manche weise umgebildet und bearbeitet. So trägt
die Töpferkunst der Donauländer noch deutliche
Spuren der Formvollkommenheil der griechischen
Keramik, während die Bauern Italiens in ihren
Schmucksachen die antike Filigranarbeit der Gegen-
wart überliefert haben, und die Stickereien der nor-
wegischen Gebirgsbauern sind in Muster wie Aus-
führung den geschmackvollen Arbeiten der Renais-
sance gleicher Art nahe verwandt. Selbstverständ-
lich hat die Volksindustrie in den entlegeneren und
weniger zugänglichen Ländern und Distrikten die
größte Rolle gespielt, die größte Entwickel-
ung erreicht und am längsten ihre Selbst-
ständigkeit bewahrt. Unter diesen Ländern
nimmt das durch die Reisen unsres erha-
benen Kaisers wieder mehr in den Vorder-
grund des öffentlichen Interesses getretene
Norwegen einen hervorragenden Platz ein.
Klein und gering sind die Beiträge, die
Norwegen zur allgemeinen künstlerischen
Entwickelung Europas geliefert; das Land
war zu abgelegen, die Bevölkerung zu zer-
streut und arbeitete unter zu sehr bedrängten
Verhältnissen, als daß die Kunst hier Wurzel
fassen und zur Blüthe gelangen konnte. Daß
es keineswegs Mangel an Begabung war, die dies Land gezwungen,
eine solche zurückgezogene Stellung einzunehmen, davon zeugt unter
Anderem der verhältnißmäßig hohe Standpunkt, der auf dem Gebiete
der Volksindustrie erzielt worden ist.

Der norwegische Bauer zeigt sich hier im Besitz eines bemerkens-
werthen Formen- und Farbensinns, großer Empfänglichkeit und eines
natürlichen Konservatismus, welcher, ohne der Entwickelung Einhalt
zu thun, ihn in den Stand gesetzt hat, energisch die einmal empfang-
enen künstlerischen Eindrücke festzuhalten und sie mit vollem Verständniß
bei der Verarbeitung seiner täglichen Gebrauchsgegenstände zu ver-
werthen. —

Man spricht in unsrer Zeit so viel vom „Stil", aber nur die
wenigsten geben sich Rechenschaft, was man hierunter versteht, und
sind sich darüber klar, was eigentlich dazu gehört. Besser als Bücher
und gelehrte Abhandlungen, ja deutlicher und eindringlicher als so
manche aufs Höchste bewunderte Prachtarbeiten, bei denen die be-
stimmenden Grundverhältnisse nur noch schwach zu erkennen sind,
lehren uns die einfachen Teppiche und Stickereien, Schmucksachen und
Schnitzereien der Bauern, was Stil ist, worauf er beruht und wodurch
er erreicht wird. Auf einer festen Tradition fußend, aber im übrigen
ganz auf sich felbst angewiesen und einzig seinem eigenen gesunden
Sinn und natürlichem Geschmack folgend, hat der Bauer auf den
genannten Gebieten Arbeiten geliefert, die sich oft durch eine glückliche
Harmonie von Zweck, Stoff und Fasson auszeichnen. Einen hohen
Grad technischer Vollkommenheit können natürlich diese unter ärmlichen

Abbildung Nr. 207

NavMtide

als Kerzenträger.

Abbildung Nr. 208.

Ktiesengelün-ev sus einem slten WstvHievhsus.

folgen, geht die Tradition
sehr weit zurück. Nnter

Verhältnissen zum eigenen Gebrauch ausgeführten Gegenstände nicht
besitzen. Ihre eigenthümliche Anziehungskraft besteht zum größten
Theile darin, daß sie zeigen, was selbst mit geringen Mitteln zu er-
zielen ist, wenn sie auf die rechte weise, innerhalb ihrer Grenzen
angewandt werden. Die geringe technische Entwickelung ist, anstatt
ein Hinderniß zu sein, ein Vortheil geworden, indem sie der Willkür
unübersteigliche Schranken setzt und zugleich den Arbeiter zwingt, sich
zum Aeußersten anzustrengen, um all die Wirkung, die in den Grenzen
der Möglichkeit liegt, zu erzielen.

Von wesentlicher Bedeutung ist, wie schon angeführt, die Tra-
dition gewesen. Die Formenbehandlung, welche sich das Volk einmal
angeeignet, hat sich mit erstaunlicher Festigkeit erhalten, nur nach und
nach durch den Einfluß späterer Zeiten abgeändert. Obgleich also
mit der Zeit abgeschwächt und schwierig mit Bestimmtheit zu ver-

einzelnen Richtungen doch nachweislich
den norwegischen Schmucksachen kommen
noch derart mittelalterliche Formen vor und die Holzschnitzerei zeugt
noch heutigen Tags von einer in die Augen fallenden Vorliebe für
die romanischen Formen des Ornaments, wenn auch stark beeinflußt
durch die Renaissance, die wiederum die Teppichweberei und Stickerei
vollkommen beherrscht. In diesen traditionellen Grenzen sind übrigens
die Formen mit großer Feinheit und Geschmack behandelt. Vor
Allem ist es das Gebiet der Flachornamentik, auf welchem der
nationale Hausfleiß seine Triumphe feiert, während die Haupt-
formen der Gegenstände als Folge des geringen Einflusses, den die
Kultur des Abendlandes auf Sitten und Gebräuche des Volkes aus-
übte, oft schwer und plump sind, zeichnet sich die Ornamentik durch
eine geschmackvolle und verständige Behandlung der theils von außen
eingeführten, theils aus der einfachen Technik natürlich hervorgehenden
Formen aus, während die Farbenzusammenstellungen von feinem Sinn
für harmonisch-dekorative Wirkung zeugen.

Dies Alles gilt übrigens nur von den älteren Arbeiten;
Laufe der letzt vergangenen sechzig Jahre ist ein Ver-
fall eingetreten und hat mit solcher Schnelligkeit um
sich gegriffen, daß die in letzter Zeit ausgeführ-
ten Arbeiten nur geringe und leider immer
schwächere Spuren der Gesundheit und
Kraft der früheren Perioden
sich tragen. — Unter den
Zweigen des Hausfleiß---
die in Norwegen
nennenswerthe
Entwickel-

im

an

ung er-
zielt
 
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