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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 2.1891

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Kumsch, Emil: Pflanzen-Studium und Stil, [1]: Vortrag, im Zusammenhang mit den gleichzeitig stattgehabten Ausstellungen im Königlichen Kunstgewerbe Museum zu Dresden über "Die Anwendung von Naturformen in der dekorativen Kunst", gehalten am 21. Januar 1891 im Dresdener Kunstgewerbeverein$von E. Kumsch
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https://doi.org/10.11588/diglit.11379#0065

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April-Heft.

Illustr. k u n st g c w e r b l. Zeitschrift für „I nn en -D ek o r at io n".

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Vortrag, im Zusammenhang mit den gleichzeitig stattgehabten Ausstellungen im Aöniglichen Auustgewerbe-Aluseum zu Dresden über
„Die Anwendung von Natursormen in der dekorativen Aunst", gehalten am 2 s. Zanuar s«9s im Dresdener Aunstgewerbeverein

von Bibliothekar L. A um sch.

?lbildung Nr. zss.

Motiv ?iiiil Wriiialen riurv Moiidlrllrrö.

m die Mitte unsres Jahrhunderts, im Jahre t85t, bildete die erste
Weltausstellung iu Landau durch die Vorführung der zauberhaften
Schätze kunstgewerblicher Erzeugnisse Gst-Indiens den Ausgangspunkt

der kunstgewerblichen
Strömung, die unsere
Tage beherrscht. Sie
brachte die Erkenntniß
des tiefen Standes unsres
Kunstgewerbes, zu dessen
Hebung man sein Heil
in der Neubelebung der
historischen Stile suchte,
die in immer schnellerem
Wechsel sich ablösten, so
daß die letzten derselben
kaum noch zur Geltung
gelangten.

Kaum vierzig Jahre
trennen uns van dieser
Zeit, und heute sind wir
bereits am Ende der Be-
mühungen, durch Zurück-
greisen aus frühere Blii-
thezeiten unsre dekora-
tive Kunst neu zu beleben.
Die früheren kühnenHoff-
nungen, sie haben sich
nicht erfüllt, keiner der
Stile gewann größeren

dauernden Einflutz. was frühere Zeit mit ihren religiösen und politischen Be-
ziehungen in Jahrhunderten gebar und großzog, zur Blüthe brachte und verwelken
sah, es sank zur Tagesmade herab; es konnte nicht festen Fuß fassen, weil die
Grundbedingungen zur Existenz fehlten, der Geist unsrer Zeit ein wesentlich
anderer geworden ist.

Nun gewannen alle Fachleute die Ilebcrzeugung, daß das bisher betriebene
Imitiren der alten Stile unmöglich für die Dauer genügen könne. Da erschien
als Retter in der Noth ein neuer jugendfrischer Stil, die eigenartige, auf ein-
gehendstem Naturstudinm und feinstem Naturcmpfinden begründete Dekoration
Japans, die anmuthigc Schwester des greisenhaften, in sich verknöcherten Stiles
des Reichs der Mitte, China's. wie jede, auch nur halbwegs gute Sache, fand sie
begeisterte Anhänger und blind eifernde Gegner. Mährend die Begeisterung der
Elfteren von einiger Acbertreibung nicht sreizusprcchen ist, glaubten die Letzteren
durch Verbannung der mißachteten Stilrichtnng deren Einfluß bekämpfen zu müssen,
um so den von ihnen theoretisch für richtig und deshalb der Einführung allein
würdig erachteten Stil im Sattel halten zu können.

Es mag nun sein, daß auch hier die goldene Mittclstraße das Richtige ist,
genug, es entstand bald eine Strömung, die in Anlehnung an die vorwiegend
pflanzliche Dekoration Iastans den Ruf der Rückkehr zur Natursorm in dem
Streite erschallen ließ, und es ist vielleicht nicht unrichtig, aus den neuerdings
vielseitig auftauchcuden Bestrebungen zu schließen, daß der Ruf zeitgemäß ist, daß
das Naturstudium für uns in der Luft liegt, und eine weitaus größere Betonung
des pflanzlichen Elementes in der dekorativen Kunst unsrer Zeit entspricht.

Es wäre falsch, anzunehmcn, daß diese Bestrebungen, ohne jeden Vorläufer,
der neueste» Zeit angehören, vielmehr sind bereits seit circa Z8-xo mehrfach der-
artige Versuche ausgetaucht, unter denen Prof. Krumbholz's Entwürfe für Leinen-
damaste verdienen, hcrvorgehoben zu werden. Leider hat den früheren Vertretern
dieser Richtung, denen in einzelnen Fällen ein weiter Blick nicht abgesprochcn
werden kann, die Energie und Ausdauer gefehlt, ihrer Anschauung größeren Ein-
fluß zu verschaffen. Erst in neuester Zeit ist es Pros. Meurer gewesen, der durch
besondere Beharrlichkeit in Wort und Schrift cs verstand, für seine Richtung An-
hänger zu gewinnen.

Die sich schroff entgegenstehenden Urtheile, welche diese Bestrebungen her-
vorriefen, waren die Veranlassung zu den drei Ausstellungen, welche in den
Räumen des Dresdener Kunstgewerbe - Museums gegenwärtig stattfinden. Es
sollte durch dieselben veranschaulicht werden, welcher Einfluß diesen Bestrebungen
zu gestatten sei, was die gleichartigen Bemühungen Anderer bereits erzielten.

Dafür, daß diese Ausstellungen zeitgemäß sind, kann als Beweis dienen
das Projekt einer großen Ausstellung über „la plante" im Trocadero zu Paris,
die in diesem Sommer stattfinden wird und aus fünf Abtheilungen bestehen soll:
l- der lebenden Pflanze, 2. kunstgewerblichen Erzeugnissen der letzten öo Jahre
in acht.Abtheilungen, nach dem Material geordnet, z. Entwürfen von Künstlern,
-t- Unterrichtswerken usw., 5. einer Abtheilung für ältere Erzeugnisse, natürlich
Alles unter dem Gesichtspunkte, daß in der Gesammtsorm oder Dekoration die
Pflanze die Hauptrolle spielt. Diese Ausstellung wird also zur Beurtheilung der
ganzen industriellen Leistung des hochentwickelten Frankreichs alle Faktoren heran-
ziehen. Unsere Ausstellungen beschränken sich nur aus die Zusammenstellung des

in der Bibliothek der Königlichen Kunstgewerbe-Schule vorhandenen Materials an
Werken und Linzelblättern, auf denen die fragliche Richtung einen Ausdruck
findet; es ist absichtlich vermiede» worden, anderes als Bibliothcksmaterial herbei-
zuziehen. Ursprünglich sollte sich die Beleuchtung der ganzen Bestrebungen auf
nur eine Ausstellung beschränken, der eine knappe Anzahl von Abbildungen
älterer Erzeugnisse als Einleitung beizufügen seien. Bei Auswahl der Blätter
schwoll aber das Material in solcher Meise an, daß diese Einleitung sich für eine
besondere Ausstellung als von hinreichendem Interesse zeigte.

Es ergab sich dabei außerdem noch, daß es zweckmäßig erscheinen werde,
die Ausstellung nicht auf die Pflanzenform allein zu beschränken, sondern auch die
übrigen organischen Formen der Natur, denen wir in der dekorativen Kunst be-
gegnen, in ihr Bereich zu ziehen, sie werden Gegenstand der demnächst statt-
findenden dritten Ausstellung sein. Die Vorbereitungen hierzu sind leider noch
nicht weit genug vorgeschritten, um Näheres darüber berichten zu können, ich
glaube aber fest, es wird die interessanteste der ganzen Serie werden.

Ihrem ganzen provisorischen Karakter entsprechend, sind diese Ausstellungen
nur auf den Besuch einzelner, weniger Fachleute berechnet, umso erfreulicher er-
scheint die Thatsache, daß der Besuch auch von Personen, die breiteren Schichten
der Bevölkerung angehören, ein reger genannt werden kann, und selbst aus
größerer Entfernung Fachleute eintrasen.

Dies, meine Herren, war die Vorgeschichte der Sache, und nun gestatte»
Sie mir, auf die Ausstellungen selbst cinzugehen.

Es ist heute nicht meine Absicht, die Einzelheiten der einleitenden Ausstell-
ung „Ueber die Anwendung von Pflanzenformen in den historischen Stilen" näher
zu beleuchten; vielleicht ist die Beschäftigung hiermit einer späteren Gelegenheit
Vorbehalten, nur der hauptsächlichsten hierbei gewonnenen Eindrücke sei in
Kürze gedacht.

Bei den Lgyptern sehen wir nur Palmen, Lotos und Papyrus. Die
Wahl dieser Formen wurde bedingt durch strenge priesterliche Vorschriften, die
Alles, was mit dem wohlthäter des Landes, dem heiligen Nil, in Verbindung
stand, als erstes Motiv vorschrieb. Dieselben Motive, zu denen noch die Palmette
trat, beherrschte die Formenwelt der Assyrer. Die Perser, Inder und
Türken erschienen durch solche Vorschriften nicht gebunden; war es daher zu
verwundern, wenn sie den berückenden Zauber ihrer blühenden Haine, ihrer
Blumengärten, in denen Rose, Nelke, Tulpe, Narcisse und Hunderte anderer
Blumen ihre Heimath hatten, auch auf die Gebilde ihrer Kunst übertrugen?

Die Griechen und Römer bethätigten ihre Kunst in der Nachbildung
des Lrhabcndsten der Natur, dem Körper des Menschen, und in der eingehendsten,
struktiven Durchbildung des Gegenstandes, der einzelnen Architekturtheile, der
Theile der Gefäße usw. Für sie war die Schablone des überlieferten strengen
Mrnaments zur Dekoration genügend, sie fügten ihm nur den Akanthus hinzu.

Bei einem sehr großen Theile der in den einzelnen Stilperioden verwen-
deten pflanzensormcn fehlt uns heute jeder Anhalt zu ihrer Erkennung. Abge-
sehen von der uns zum Theil heute noch unbekannten Flora der orientalischen
Kulturländer, wurde durch die Umbildungen der ursprünglichen strengen Stilisirung
ein guter Theil der Pflanzen seines eigentlichen Uarakters gänzlich entkleidet.
So fügt es sich, daß es z. B. über den Ursprung der Palmette, einer Grnament-
sorm, die einen so großartigen Einfluß bei den Assyrern, Griechen und Römern
hatte, die in den allermeisten Fällen berufen war, als Krönung ihrer Tempel,
Grabstätten usw., zur Dekoration ihrer Vasen, ihrer Bronzen, kurz, des größten
Theils ihrer Erzeugnisse zu dienen, trotz der vielfachen, auf die assyrische und
griechische Kunst gerichteten Studien, noch heute verschiedene Meinungen gibt.

Am Einfachsten erscheint wohl die Herleitung aus dem Blatte der Fächer-
palme, wenn auch die Anordnung bei diesem eine abweichende ist; doch werden
zu ihrer Herlcitung auch die Schote, von Anderen sogar die Finger der Hand
angezogen. Auch die Gaisblattblüthe wird oft als Urform der Palme im Allge-
meinen bezeichnet, obgleich sie nur einer eigenartigen Ausbildung derselben in der
Zeit der Elisabeth von England (zs. Jahrhundert) zum Vorbild gedient hat.

Der streng kirchliche, düstere, byzantinische und romanische Stil
beschränkte sich in der Hauptsache auf den überkommenen Akanthus, den er
scharfkantig zeichnete und mit edelsteinartigen Formen verzierte.

Die Gothik, die die Verzierung nicht struktiv verwendete, zeigt eine über-
raschende Fülle von Naturformen, hauptsächlich Blattwerk der verschiedensten Art,
wie Eiche, Ahorn und Feige, Lpheu und wein, Distel und Schöllkraut, Kornähre
und Klee, Passionsblume, Rose und Schwertlilie. Diese Reihe wird sehr vermehrt,
wenn man noch den erstaunlichen Reichthum der Miniaturen und Initialen in
Betracht zieht, in welchen der Blumenflor ziemlich naturalistisch, häufig im Verein
mit einem konventionellen Blattwerk auftritt. Der kirchliche Sinn der Gothik
legte den meisten dieser Pflanzen eine religiös-symbolische Bedeutung bei, z. B.
bedeutet das Kleeblatt die Dreieinigkeit, Aehren und wein den Leib und das Blut
Christi, Passionsblumen und Dornen die Leiden Christi, die Rose die Jungfrau
Maria, die Distel die Leiden des irdischen Daseins. Heute noch erscheinen uns
diese Pflanzen in einer gewissen Beziehung zur Gothik, auch wenn die Durchbild-
ung und Anordnung eine gänzlich andere ist, ebenso haben sie sich bis heute ihre
symbolische Bedeutung bewahrt. Das erwähnte konventionelle Blattwerk, das
einen angezogenen, gelappten Karakter hat und in der Spätgothik allbeherrschend
 
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