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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 2.1891

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Schliepmann, Hans: Zimmer-Decken, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11379#0195

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^eite (68.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für „Innen -D e ko rati o n".

November-k)eft.


LHnmner^ Merken.

von Regierungs-Baumeister Hans Schliepmann.

Architektur, die künstlerische Raumgestaltung, beginnt in ihren primitivsten
Aeußerungen da, wo der einfache, umwährte Raum eine Ueberdeckung

erhält. Im Zelt und in der Strohhütte sind lvand und Dach noch
nicht unterschieden; es war ein gewaltiger Kulturfortschritt, der in dem
Rebergangc zur besonders cingedeckten Hütte sich aussprach. So einfach die ersten
Hülfsmi tel eines solchen Daches waren: in der Dach- und weiter in der Decken-
bildung mar auch in allen Folgezeiten das wesentlichste Moment der Architektur-
entwickeluug gegeben.

Die Kunstgeschichte behandelt im wesentlichen zwei Urformen der Decke:
Lie Plattendccke der ägyptischen und griechischen Kunst und die Wölbung, die in
der Gothik ihre vollendetste Durchbildung erhalten. Line Konstruktionsgeschichte
dieser Decken ist fast gleichbedeutend mit einer Architekturgeschichte der Kulturzeit
— wenigstens so weit man bisher
die Architekturgeschichte behandelte,
nämlich lediglich in Bezug auf den
Monumentalbau. Erst neuerdings
beginnt man, auch den kleineren
Profanbau, der ja freilich nur in
ganz wenigen Beispielen aus älterer
Zeit erhalten ist, in die Betracht-
ung zu ziehen. Auch für den
P>rofanbau — der uns hier aus-
schließlich beschäftigen soll—ist die
Araufgabe der Architektur, Räume
mit einer Decke oben abzuschließen;
aber wir vermögen keinesfalls
hier aus der Lntwickelung der
Deckenbildung einen Schluß auf
die allgemeine bauliche Lntwickel-
ung zu thun — es sei denn der,
daß diese Lntwickelung seit Jahr-
hunderten nahezu stillgestanden,
wenn nicht gar zurückgegangen ist.

Und in der That, die Aufgabe,
welche tagtäglich zu lösen ist, wird
leider tagtäglich mit gleichem Un-
verstände oder doch derselben Gleich-
gültigkeit behandelt, nach einer
ganz zufällig ans Ruder gekomme-
nen Schablone oder mit einem
Reichthum, der alle möglichen wil-
den Linfälle, nur keine architek-
tonischen zeigt — ein deutliches
Zeichen, wie wenig wir geneigt
und nach unsrer ganzen hülflosen
P>errückenerziehnng veranlagt sind,
baulichen Problemen nachzudenken.

Ich will daher einmal ver-
suchen, die Frage der Dccken-
bildung eines gewöhnlichen Zim-
mers näher von solchem Gesichts-
punkte zu erörtern.

Gleich bei Anfang der Betracht-
ung tritt uns eine Deckenform
entgegegen, die, von der früheren
Kunstgeschichte nur mit gönner-
hafter Nebensächlichkeit behandelt,
doch die Urform und Hauptform
aller Decken gewesen und geblieben
ist: die Balkendecke. Sie kam ei-
gentlich nur insofern in Betracht,
als man in ihr, auch nur erst nach
langem Sträuben, die Urform für
die Steinkassettendecke sehen mußte.

Aber man hat bis heute noch nicht genügend betont, daß eigentlich die Kassetten-
decke auch nicht eine ursprüngliche Holz decke sei, mindestens keine ursprüngliche
Balkendecke. Denn für diese entwickeln sich zwei andere Urformen: es werden
entweder gleichartige Hölzer als Deckung dicht aneinander geschoben — die Block-
balkendecke, in Rußland, SkandinavieiKlund im Hinterwäldlertheile Nordamerika's
noch heute als das Natürlichste für holzreiche Gegenden beliebt — oder es werden
Balken in gewissen Zwischenräumen gelegt, über die dann ein anderes Deckungs-
material quergestreckt wird, wird die weite des Raumes zu groß, so trägt dann
noch ein stärkerer Mittelbalken (der Unterzug), vielleicht auch auf einer Stütze die
übrigen Balken. Das Karakteristische dieser Decke bleibt jedenfalls die deutlich
unterschiedliche Ausbildung der Decke nach den beiden Hauptrichtungen; die Motive
entwickeln, wiederholen sich nur je in einer Richtung. Die Kassettendecke dagegen
beruht auf einem gleichmäßigen Netz. Man vermag aber ein solches Netz nicht
aus Balkenlagen, die kreuzweis übereinander gelegt sind, genügend zu erklären;
die Verschiedenartigkeit der Höhenlage läßt das angenommene Urbild gekreuzter

Abbildung Nr. 258. MoKoKo«Motlv von Robert Koch.

Aus dem Merk „Rokoko-Motive von Robert Roch", Verlag von Ranker <L Mobr, Berlin 8>V.
Lkarlotten-Straße Nr. 83.

Balkenlagen in der ganzen Erscheinung so außerordentlich anders wirken, daß von
einer Gleichartigkeit der Raumausbildung nach den beiden Hauptrichtungen, von
einem gleichmäßigen Netzwerk nicht die Rede sein könnte. Lin Ausklinken und
Uebereinanderschiebcn der Balken so weit, bis die Unterkanten aller Hölzer in einer
Höhe liegen, oder ein Linzapfen einzelner Balkentheile zwischen die Hauptbalken-
lage könnte aber erst dem Urbaumcister eingefallen sein, der das bestimmte Motiv
der Netzdecke schon deutlich vor Augen gehabt hätte und nun mit durchaus material-
widriger Spitzfindigkeit in Balkenholz ausführen wollte. Das unverschlcierte Vor-
handensein steinerner Unterzüge in den monumentalen Bauten Aegyptens und
Griechenlands mit Kassettendecken bestätigt denn auch, daß die Ideenverbindung
von gekreuzten Balken zur Kassette von keiner naiven Lmpfindung geschlagen
werden konnte. Das Urbild liegt vielmehr weiter zurück, im Zeltba», wo man
ein Netz aus Tauen oder Bändern hcrstellte. Die weitere Ausführung dieser Frage
gehört nicht hierher; uns iuteressiren nur die ästhetischen Gesetze, die für die
Deckenbildung in Frage kommen können, wir haben aber nunmehr durch diese
Betrachtung sogleich zwei ganz verschiedenartige Bildungsgesetze kennen gelernt.

Die Kassettendecke, nach der ganzen
Herstellung eigentlich keine Bal-
ken-, sondern eine Hohlkasten-
decke , mit freier Beweglichkeit
der Motive nach jeder Richtung
und die Decke mit parallelem Trage-
balken, die strenger konstruktive
jedenfalls, die denn auch im Mittel-
alter durchweg die herrschende
Form geblieben ist. Lrst mit der
Schätzung — und zu bald nur Ueber-
schätzung — der Antike errang die
Kassetten decke di- Herrschaft, die
bis vor wenigen Jahrzehnten eine
ausschließliche geworden war. Ihre
freiere Beweglichkeit ist aber doch
auch ein nicht abzuleugnender Vor-
zug gewesen, dem sie diese Stellung
verdankte. Die THeilung der
Decke, die erste ästhetische Aufgabe,
sobald es sich nicht nur um eine
einfache Fläche handelt, konnte er-
heblich mannigfaltiger erfolgen,
sobald man nicht mehr an die
ungebrochenen parallelen der
Tragebalken gebunden war. Das
Organische, schon verlassen
von dem Augenblick, da man ein-
sah, daß die Kassettendecke ganz
ohne Balken, nur aus Hohlkästen
weit besser, als zwischen eigentlichen
konstruktiven Balken herzustellen
sei, trat freilich in demselben Maße
zurück, als die freie Fantasie
an Boden gewann. Zwischen diesen
beiden ästhetischen Grundtrieben,
konstruktivem Durchbilden und
souverainem Verleugnen des Kon-
struktionszwanges durch die Fan-
tasie pendelt aber das architekto-
nische Schaffen beständig hin und
her; die Gothik bezeichnet den
weitesten Ausschlag nach der Ver-
standes-, das Rokoko den nach der
Fantastikseite. Das Uhrwerk ist
nur kein regelmäßiges mit gleich
großen Schwingungen. Nachdem
uns die Antike-Auffrischung wieder
einmal ziemlich nachdrücklich nach
der konstruktiven Seite geworfen,
trat die Reaktion gegen deren recht
einseitig werdenden Zwang in den
folgenden lediglich formal gemein-
ten Stilnachahmungen so lebhaft auf, daß wir jetzt einmal wieder zu der Einsicht
gelangen, der Pendel müsse umkehren vom Formencarneval zum sinngemäßen
Schaffen.

Hierzu gäbe nun die Balkendecke in ihrer natürlichen Form ein höchst ge-
eignetes Versuchsfeld. Dabei wäre es gar nicht nöthig, gleich an so monumentale
Durchbildungen zu denken, wie sie z. B. im Berliner Gewerbe-Museum ausgeführt
sind. Die ganze Aufgabe, zu deren Lösung bisher nur ganz wenig neue zielbewußte
versuche gemacht sind, liegt eigentlich darin, die gegebene gleichmäßige Ouertheilung
voll zum Ausdruck zu bringen und dennoch die Felder zwischen den Balken derartig
in Beziehung mit einander zu setzen, daß ein Ganzes entsteht. Die Urform löst
dies Problem bereits durch die Gleichmäßigkeit der Balken und der darüber-
gebreiteten Schalung. Aber die Lösung ist primitiv und deshalb ohne wesentlichen
Reiz. Line Decke, bei der die Balken als tragende Theile deutlich entwickelt sind,
bei der die Felder sich deutlich von jenen abheben und dennoch im Einzelnen eine
Verknüpfung mit den Balken zeigen und deren weiterer Schmuck in den Flächen
 
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