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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 2.1891

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Kumsch, Emil: Pflanzen-Studium und Stil, [2]: Vortrag, im Zusammenhang mit den gleichzeitig stattgehabten Ausstellungen im Königlichen Kunstgewerbe-Museum zu Dresden über "Die Anwendung von Naturformen in der dekorativen Kunst", gehalten am 21. Januar 1891 im Dresdener Kunstgewerbeverein
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https://doi.org/10.11588/diglit.11379#0083

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5eite 66.

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für „I,in e n - D e ko r a t ion".

Mai-^eft.

bildungen eines historischen Stiles handelt, da jeder Künstler von größerer Durch-
bildung seines Könnens einen Theil seines Wesens in jedes seiner Erzeugnisse
hineinlegt. Hieran vermögen wir auch die Arbeiten der einzelnen Künstler früherer
Stilperioden zu unterscheiden, abgesehen von der Wahl der Darstellung, der An-
ordnung der Farbengebung uss.

Tritt die Eigenart des Künstlers stark hervor, ohne den Anforderungen der
Zeit zu entsprechen, so bezeichnen wir seine Leistungen als „manirirt" mit einer
nicht tadelsfreien Nebenbedeutung.

Durch Uebertragung der Manier auf seine Schüler bildet der Meister seine
Schule und, wenn diese Schule vom Geiste der Zeit getragen wird, den Anforder-
ungen derselben entspricht, und hiernach eine allgemeinere Ausbreitung gewinnt,
wird sie zum Ausdruck der Zeit, zum Stil.

Gehen wir nun über zu dem Inhalte der gegenwärtigen zweiten Ausstellung,
„die Bestrebungen im Stilisiren von Pflanzenformen seit ca. tsqo". — Unter den
in Deutschland erschienenen Werken sind zu unterscheiden: Formensammlungen,
d. h. Werke, welche nur ein Material geben, wie Natursolbstausdrücke, also ge-
druckte und dadurch haltbarere Herbarien, wie „Reuß, Pflanzenblätter", die insofern
schon einen Schritt nach unserm Ziele hi» thaten, als sie die vielfach geschwungenen
Flächen des Blattes in die Bildfläche verlegen mußten und sich bemühten
durch Auswahl möglichst vollkommener Exemplare die Grundform der
dargestellten Blätter rc. zum Ausdruck zu bringen. Ferner Pflanzen-
anatomien, ich bezeichne damit solche Werke, die, ebenfalls unter
thunlichster Verlegung der Hauptansichten der Zweige usw. in die
Bildfläche, das Wachsthnm und die Formen der einzelnen Theile,

Stengel, Blätter, Knospen, Blüthen, Früchte durch Durchschnitte
und verschiedene Ansichten (von oben, seitlich, von unten)
möglichst klar zur Darstellung zu bringen suchen, wie das
Werk von Koch, „Hamburger Pflanzenblätter". Eine weitere
Gruppe bilden die Werke, welche Pflanzen konstruiren,
also einzelne Naturformen auf geometrische Grund-
formen zurücksühren, wie Dreiecke, Ellipsen, Kreise,

Spiralen usw., z. B. von Herdtle, „Blätter, Blumen
und Ornamente", Herdtle und Biermünn, „Schule
des Musterzeichnens", Holder, „Pflanzenstudien",

Flinzer, „Zeichenhefte für Schüler". Meistens
ist mit diesen Konstruktions-Uebungen endlich
verbunden ein weiterer Schritt zum Ziele,
die Anordnung und Gruppirung, das Ar
rangement zu Bordüren, Füllungen,

Flächenmustern usw. (wie Krumbholz
das vegetabile Ornament, das im'Gegen-
satz zu den übrigen genannten in ?
reichem Farbendruck ausgeführt ist,

Diese Hebungen werden in den Lehr-
werken systematischer Stufenfolge vom
Leichten zum Schweren durchgeführt.

In Deutschland ist also durch die
verschiedenen Bestrebungen, so müssen
wir leider gestehen, mehr als die Her-
stellung der geometrischen Form, also
eigentlich der Schablone, nicht erzielt
worden, die Bemühungen, Orna-
mentales aus der Pflanzenwelt zu
schaffen, gehen in den besten Fällen
über jene geometrische Anordnung nicht
hinaus, die bei Rosettenbildung nur
zu leicht den Ausdruck des kaleidos-
kopischen Bildes gewährt. Diese Be-
strebungen würden, auf geometrischem

Gebiete, etwa zu vergleichen sein mit der Anordnung von Dreiecken, Ouadraten
usw. in Parketmustern, Glasmosaikmustern und Aehnlichem.

Auszunehmen hiervon sind diejenigen Erfindungen, die sich an einen
historischen Stil anlehnen, ihm nachempfinden wollen, doch diese sind nach dem
Programm von unserer Betrachtung ausgeschlossen. Eine Ausnahme wurde nur
bei der „Pflanze in Kunst und Gewerbe" gemacht, da dieses Werk immerhin sich
unsere Bestrebung zum Programm gemacht hatte. Unter den Publikationen der
neuesten Zeit in Deutschland-Oesterreich sind namentlich zwei hervorzuheben, die
durch großartige Anlage, sowie die allervorzüglichste Ausführung in jeder Hinsicht
mustergültig sind; es sind dies die bei Gerlach L Schenk in Wien erschienenen
Werke „Allegorien und Embleme" und die erwähnte „Pflanze in Kunst und Ge-
werbe". Während das Erstere seine große Mannigfaltigkeit hauptsächlich dem
Umstande zuzuschreiben hat, daß eine sehr große Anzahl deutscher Künstler die
Entwürfe dazu nach einem vorgeschriebenen Motto lieferte, ist leider die Herstellung
des zweiten Werkes fast ausschließlich einem Künstler, dem Münchener Maler
A. Seder übertragen worden. Derselbe lieferte dazu über ms ornamentale Blätter,
während ganze 9 Blätter sich auf 8 andere Künstler vertheilen. Ich sagte leider,
bitte mich aber nicht falsch verstehen zu wollen, denn es muß von dem Genannten
gesagt werden, daß er in der Ausführung der Entwürfe eine überraschende, im-
mense Gestaltungskraft und Fantasie entwickelt hat und Reiz und Anmuth seiner
Kompositionen verdienen es in anerkennendster Weise hervorgehoben zu werden.
Trotz alledem ist es zu bedauern, daß Gerlach A Schenk von ihrem früheren Prinzips
— Vertretung vieler Künstler — abgegangen sind. Ls ist heute schwer, die
Natur nachzubilden, ohne dies in einem früheren Stile zu thun. Jeder, der sich

Abbildung Nr. (Sy.

Mvonleitchkev füv Vas mil 12 Maßen klammen.

heute mit diesem Thema beschäftigt, hat früher wenigstens Zeichenunterricht ge-
nossen, dessen Vorlagen nach der Ausbildung des Lehrers inehr oder weniger einen
bestimmten Stil bevorzugten, oder er ist selbst durch seine Bernfsthätigkeit dem
einen oder andern Stile näher getreten. Nun kann er aus seiner Haut nicht heraus,
in der Wahl der Pflanze, sowie der Theile derselben, in der Anordnung usw.
wird sich selbst beim Naturzeichnen, namentlich aber beim Stilisiren diese stilistische
Erziehung Bahn brechen, selbst wenn das Gegentheil beabsichtigt wird. So konnten
auch die fraglichen Tafeln nichts Anderes als die Manier (nach meiner früheren
Annahme) dieses einzelnen Künstlers, bei auch noch so großer Selbstbeherrschung
desselben, wiedergeben und wir haben hier also ein Werk in moderner Münchener
Renaissance, in dem Naturformen verwerthet sind. Wie viel reicher würde das
Werk erschienen sein, wenn Gothiker und Renaissancemann, Verehrer des Barock
und Rokokoschwärmer sich vereint hätten in dem Bemühen, das Wesentliche und
Schöne der gegebenen Pflanzen unter thunlichster Beschränkung ihres Lieblingsstiles
darzustellen. — Die Bestrebungen der Schweiz werden nur durch 2 Werke illustrirt;
beide den Hauptindustrien des Landes der Weißstickerei und Gardinensabrikation
angehörcnd. Das Eine, „Studien und Kompositionen von Stauffacher", hat be-
reits größere Verbreitung gefunden, es ist im Allgemeinen fast naturalistisch und
bietet manches Schöne in der Anordnung. Das Werk „Material für
Zeichner von Bänziger" ist erst neuerdings erschienen; es zeigt in
seinen Effekten den routinirten Stickereizeichner und lehnt sich an die
Formen der Lhinoiserien pillements an, doch zeigt Bänziger nach
D- ziemlich unmittelbare, also deutlich zu erkennende Naturformen.

Es sei hierbei nochmals auf das Prinzip zurückgekommen,
einzelne Formen verschiedenartiger Pflanzen auseinander heraus-
wachsen zu lassen und Ornamentformen durch Zusammen-
stellung beliebiger pflanzentheile zu bilden. Dieses Prinzip
ist sicher im Stande, Anregendes und Neues hervorzu-
bringen, es kann auch viel Schönes ergeben, da der
Zeichner in der Wahl seiner Formen gänzlich unbe-
schränkt ist, seiner Fantasie zur Weiterbildung des
vorhandenen ein unendlicher Reichthum zu Gebote
steht. Der Karakter der einzelnen Pflanze aber
wird dabei kaum gewahrt, diese selbst also auch
nicht wiedererkannt werden können. Ls fällt
also diese Formenbildung nicht in den Rahmen
der Pflanzenstilisirung, sondern es ist dies
als Grnamentbildung im Allgemeinen zu
betrachten, die, sür's Flachornament be-
sonders, auch nicht neu ist, sondern für
Tapeten und Druckstoffe schon bedeuten-
den Einfluß gewonnen hat z. B. in
den Damasten aus dem Ende des Z8.
Jahrhunderts, sowie den modernen
bedruckten Möbelstoffen, wie sie die
französischen Musterabschnitte außer-
ordentlich oft zeigen.

In der Abtheilung Frankreich
begegnen wir ziemlich naturalistischen
Werken, denen aber immer die Leichtig-
keit und Grazie der Franzosen in An-
ordnung und Durchführung eigen ist.
Stark auf dem Studium des Iapan-
von P. Stotz, Stuttgart. ischen begründet, tritt dies in den reiz-
vollen Blättern von Habert-Dys „kan-
taisiss clsooratives" hervor. Für den
allgemeinen Gebrauch werden die beiden
Werke von Lambert „üore llecorativs"
und „llore naturelle" beide in Hand-
kolorit ausgesührt, sehr gut verwendbar sein. Eine eigenartig schwülstige Durch-
bildung zeigen die Blätter von Buchert „In tlore industrielle" die durch das
Studium der Entwürfe Pillement's beeinflußt sein mögen, wohl aber eifriges
Naturstudium aufwoisen. Gattickers „llsurs stvlisses" ähnelt ihm und auch Iavet
„Dessins inäustriel" zeigt eine etwas schwülstige Auffassung, während Ehristy's
„l'ornamentation" ganz naturalistische Pflanzenformen durch Gruppirung zu Ro-
setten, Füllungen, Plafonds nsw. znsammenstcllt. Lin bekanntes Werk, allerdings
vom Jahre ;86S, ist „>a llore ornamental" von Ruprich-Robert. Es gehört zu
den konstruirenden Werken, giebt aber diese Studien im Gegensätze zu den aus-
schließlich flachen Bildungen Deutschlands für plastische Zwecke.

Die Anwendung der Studien, also die ^Ornamentirungsversuche haben auch
hier genügende Erfolge nicht erzielt, die Gebilde sind nicht eigenartig, meiner
Ansicht nach für einen Franzosen merkwürdigerweise auch nicht einmal erträglich
hübsch. Das Werk soll, ich kann meine Ouelle nicht mehr genau angeben, in den
Zeichenschulen Frankreichs eingeführt sein. Es ist eine eigenthümliche Er-
scheinung, daß die Franzosen, denen Niemand Talent, Geschmack und Grazie in
ihren Erzeugnissen absprechen wird, zu denen in der Ausführung eine hochent-
wickelte Technik tritt, hier mit Ausnahme des fast Naturalistischen, nichts Hervor-
ragendes zeigen, während sie doch in der Nachbildung aller Stile, namentlich des
Rokoko und Louis XVI. so außerordentlich vollendetes leisten, das feinste Stil-
empfinden an den Tag legen. Derselben Erscheinung begegnen wir beim Durch-
blättern der Kollektionen französischer Druck- und Möbelstoffe; im Naturalismus
und ihnen gelegenen Stilarten fein empfindend, da, wo es sich um Neubildungen
handelt, zerfahren und ohne verständniß. (Schluß im 2. Bogen.)
 
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