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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 2.1891

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Bucher, Bruno: Stilvolle Wohnungs-Einrichtung
DOI Artikel:
Hofmann, Albert: Mein Wohnungs-Ideal, [14]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11379#0149

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September-Heft.

Illustr. k u n st g e w e r b l. Zeitschrift für „I nn en-D eko r atio n".

Seite (27.

Jahrhunderte, bis ein groß geplantes Gebäude zu Ende geführt war.
Ein Baumeister folgte dem anderen; und ein jeder brachte unbefangen
zum Ausdruck, was seine Zeit im Gegensätze zur vorausgegangenen
den „alleinwahren Stil" genannt haben würde, wäre dieses Wort
damals wie heute im Umlauf ge-
wesen. Und dadurch wird Niemand
gestört, der es nicht für seine Pflicht
chält, sich dadurch stören zu lassen.

Innerhalb der natürlichen Gren-
zen besteht dasselbe Verhältniß auch
bei den Wohnräumen. Selbstver-
ständlich werden wir die Belege da-
für nicht in Gesellschaftsschichtcn
suchen, welche gewohnt sind, nicht
uur in der Uleidung, sondern auch
im Mobiliar jeder Bewegung der
Mode zu folgen, sondern in der
feßhaften Bevölkerung. Wenn ein
funges paar „sich einrichtet", so
wählt es dafür wohl meistens einen
Stil oder was es dafür hält. Allein
-die Familie wächst, die Bedürfnisse
aind Ansprüche ändern oder ver-
mehren sich, und ehe man sich dessen
Versieht, ist die gefährliche und ge-
fürchtete Mischung der Stile da.

S>o war es jederzeit, im Schlosse
wie im Bürgerhause. Wird die
Mischung mit Verstand vollzogen,
fo kann das Ganze harmonisch,
wohnlich, gemüthlich sein, während
-diese Eigenschaften noch keineswegs
-die Begleiter der Stil-Einheit sein
müssen. Wie ist es denn häufig
Am die Stil-Einheit und Stil-Reinheit
in den Anspruch darauf erhebenden Musterzimmern bestellt? Abgesehen
-avon, daß die Gothik, die Renaissance, das Rokoko und das Empire,
-ie heute geschaffen werden, nicht echt sein können, weil die Uünstler
am Ende des neunzehnten Jahrhunderts nicht in die Haut ihrer Bor-

Abbildung Ar. 225. Wranzöstschr Wrdrrtuprtr, I-chrh.

gänger zu schlüpfen vermögen. Hier find Stoffe oder Berfahrensarten
zur Anwendung gekommen, welche die nachgeahmte Periode nicht
kannte, hier bedecken orientalische oder orientalisirte Teppiche den
Fußboden und laden Polstermöbel zum Ruhen ein, die theils einem

türkischen Kaffeehause, theils Einern
französischen Salon des vorigen
Jahrhunderts entlehnt sind, hier
drängen sich japanische Lackmäbel
und chinesische Kaminschirme und
andere Fremdlinge zwischen Truhen
und Spieltische, Kredenzen, ameri-
kanische Schaukelstühle und Sessel aus
gebogenem Holz oder mit geschnitte-
nem Leder, und auf den Borden
reihen sich Thon, Glas und Zinn
aus allen Weltgegenden und allen
Zeitaltern aneinander.

Wem nur wohl ist zwischen Mö-
beln, welche sich als Alters- und
Heimatsgenossen ausweisen können,
oder wer eines jener von allen
Ausstellungen her bekannten „maler-
ischen Ensembles" vorzieht, welche
nur zusammengestellt zu sein scheinen,
um fotografirt, nicht um bewohnt
zu werden, der ist in seinem Rechte.
Denn als erste Stilbedingung für
eine Wohnungs-Einrichtung muß ja
gelten, daß sie Demjenigen, der in
dieser Umgebung lebt, passend und an-
genehm erscheine. Daher ist ebenso
im Rechte, wer sich weder vom Aesthe-
tiker noch vom Dekoratör vorschreiben
lassen will, wie sein Heim zu gestalten
sei. Sein Heim ist es, er will sich
heimisch darin fühlen; theilen auch seine Freunde seinen Geschmack,
um so besser, aber das steht erst in zweiter Reihe. Man hat — oder
wir haben auch viel und klug darüber geredet, von wie großer und
weitgehender Bedeutung es sei, daß ein Jeder in seinen vier pfählen

Blumen. Blendender Glanz durchzieht den Garten, berauschender
Wohlgeruch schwängert die Atmosphäre. Der Wonnemonat ist da,
-alles strahlt, duftet, webt und summt, alles schmettert und rauscht und
fingt und jauchzt. Der Garten hat sein prächtigstes Kleid angelegt,
-ie Natur prangt in glanzvoller, bräutlicher Schönheit. Höher und
höher steigt die Sonne und erfüllet Menschen und Garten mit unsäg-
licher Lebenslust.

„Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus,

„Da bleibe, wer Lust hat, mit Sorgen zu Haus!"

Der Mai geht allmählig in den Juni über. Im Rosenbeet und am
hochstämmigen Rosenstock entfaltet eine Rofe nach der andern ihre
duftenden Knospen und enthüllt sich in ihrer ganzen tiefsatten Farben-
fchönheit und bestrickendem Wohlgeruch. Die Sonne steigt höher und
höher und ihre Strahlen werden wärmer und wärmer und drückender
und drückender kündigt die Sonnenwärme den herannahenden Juli an,
-dessen heiße Gluth sich in behaglicher Breite auf Wald und Flur,
Berg und Thal, Flüsse und Bäche legt. Nun erfüllt auch den Garten
-am Tage tiefes Schweigen. Die Zeit der Minne bei den Sängern
-er Luft ist vorüber, die steigende Hitze wirkt lähmend auf den Vogel
und seinen Gesang. Mit tiefem Schweigen ruht die Mittagssonne
auf dem Garten. Dann kommt der Abend zu seinem Rechte. Der
volle, silberne Mond steht am Himmel, in die schwarzen, der Erde
entsteigenden Bäume legt sich ein grauer Nebelduft, der alle Kon-
louren weich macht und der Landschaft den Karakter des Traum-
gebildes verleiht. Die Bäume und Blumen stehen in süßem Duft
und flüstern dem traulichen Mond ihr Leid, das sie verschämt der
Sonne verschwiegen. Im Mondschein glitzert das schluchzende Bäch-
lein, das eiligen Laufes dahinfließt. Aus der Ferne dringt der herr-
liche Schlag der scheuen Nachtigall in schwelgenden bestrickenden Tönen

an das Ohr. O Allmutter Natur, wie schön und erhaben bist du in
deinen zahlreichen Werken! llnd wieder ist ein Monat zur Neige.
Es nahen August, September und Oktober. Die Früchte setzen zur
Reife an. Aus dem Laube des kleinen knorrigen Apfelbaumes leuchtet
die rothe Wanze eines herrlichen Apfels, in den Blumenbeeten treten
die Herbstblumen ihre Herrschaft an. Die Lilien beginnen zu welken
und abzusterben, die Tage, werden kürzer und kürzer und die ersten
Blätter fallen von den Bäuinen. Ein Frühlingssänger nach dem
andern flieht das rauhe Wetter. Der Rasen beginnt große gelbe
Flecken zu zeigen und das Rauschen der Bäume, ehemals so voll und
geheimnißvoll, hat sich in ein schauerndes pfeifen verwandelt. Die
Natur beginnt abzusterben, Wind und Wetter haben die Herrschaft
angetreten. Schon mengt sich eine verfrühte Schneeflocke unter den
vom Winde gejagten Regen und bald decket der Schnee die Erde wie
mit einem Leichentuche. Die Natur ist todt, Dunkelheit ist die Königin
in der langen Nacht.

So ist der Kreislauf der Natur von Jahr zu Jahr gleich dem
ewigen Wechsel der Schicksale des Menschengeschlechtes. Heute fried-
liche Entwicklung, morgen hartnäckiger Kampf. Man braucht noch
kein hohes Alter zu haben, um auf die Zeiten zurückschauen zu
können, in welchen sich das private und öffentliche Leben im Vergleiche
zu heute in einer fest und idyllischen patriarchalischen Ruhe abspielte.
Noch nicht fünfzig Jahre sind verflossen seit der Zeit, in welcher das
Leben der Staaten, der menschlichen Gesellschaft, der Familie, des
Einzelnen dahinfloß wie ein ruhiger Strom, dessen Oberfläche keine
Welle kräuselte, dessen breites Bett träge sich dahinwälzende Fluthen
erfüllten, deren Rauschen kaum bemerkbar war und die nie die ein-
dämmenden Ufer überstiegen.

(Schluß auf Seite dieses Heftes.)
 
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