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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 2.1891

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Falke, Jakob von: Unsere Wohnung von Einst und Jetzt, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11379#0156

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Von Z. v. Falke.

Wohnung von Linst, das ist ein Thema, welches sich
gar weit in die Vergangenheit zurückführen läßt. Lolches
zu thun ist aber nicht unsere Absicht. Wenn wir das Linst
und Zetzt einander gegenüber stellen, so meinen wir damit die Ver-
bleichung dessen, worin wir heute leben, was wir um uns sehen, mit
Lem, was ihm zunächst voraufgegangen ist, mit dem, woraus das
heutige — allerdings in oppositionellem Geiste — hervorgewachsen ist.
Wir meinen die Zeit der Großväter, höchstens der Urgroßväter, da
Las, was uns etwa aus ihr noch erhalten und überliefert worden, wirklich
„großväterlich" erscheint, großväterlich im Sinne einer völligen Ver-
altung. Wer auf ein bis zwei Menschenalter zurückzublicken vermag,
Lessen Augen haben das alles noch erschaut: uns selbst sind es die treuen
Erinnerungen aus dem norddeutschen Bürgerhause einer kleinen Stadt.

Ls ist in der That in unserer Wohnung ein Gegensatz zwischen
jener Zeit der Großväter und der unsrigen. Wenige Jahrzehnte ab-
fichtsvoller Bemühungen haben einen völligen Umschwung herbeige-
führt, der sich so ziemlich endgültig vollzogen hat. Wir haben heute

daß dasselbe im Streben, die Wohnung zu schmücken, keinem andern
Stil, keiner anderen Lpoche nachstand. Leerheit, Nüchternheit, Reizlosig-
keit sind Eigenschaften, welche man dem Rokoko am wenigsten vor-
werfen kann.

Ls scheint aber, als ob das wirkliche und echte Rokoko mit seinen
Schnörkeln und Auswüchsen, mit seinem Uebermaß freigeschnitzter
Ornamente, mit seiner reichen Vergoldung fast nur auf den Höhen
der Gefellschaft geblieben sei. Ls war zu kostbar für das Bürgerhaus.
Ls war der Stil der Paläste nach dem damaligen Geschmack. Seine
Dauer war auch nur von verhältnißmäßig kurzer Zeit, kaum ein
Menschenalter, und so scheint es an der bürgerlichen Wohnung
vorüber gegangen zu sein, ohne irgend bedeutenden Einfluß geübt zu
haben, ohne ihre Ausstattung in anderer Weise zu ändern, als die
Beine der Möbel zu biegen, die Flächen mit krausem, unsymetrischen
Ornament in bescheidenem Maße zu überziehen. Wenigstens wenn
man die Zeichnungen und Stiche aus der zweiten Hälfte des s8.
Jahrhunderts betrachtet, solche, welche das Znnere von bürgerlichen

Form, Farbe, Stimmung, Reiz und Poesie unserer Wohnung zurück-
gegeben, Eigenschaften, von denen unsere Großväter und Großmütter
sich nichts träumen ließen; wir achten auf die Gesundheit der Wohnung,
wir haben es wenigstens angefangen zu thun, und führen ihr Luft,
Lacht und Wasser zu, und lassen die Sonne herein, die Miasmen zu
zerstören. Von all dem hatten unsere Großväter nichts als etwa die
Sonne, welche in das nüchterne Zimmer hinein schien, die harten
Möbel vergoldete und den Blumen vor dem Fenster Leben, Glanz und
Farbe gab.

Nüchternheit, erschreckende Nüchternheit und Reizlosigkeit ist der
Karakter der Wohnung, in welcher unsere Väter und zum Theil wir
selber noch aufgewachsen sind. Wie haben wir nur Sinn für Harmonie
Gefühl für Farbe, Empfänglichkeit für Stimmung lernen können, da
Lie Umgebung unserer Kindheit auch gar nichts davon besaß? Und
woher diese Nüchternheit? War ja doch die Wohnung unserer Groß-
eltern und Urgroßeltern aus der Lpoche des Rokoko hervorgegangen,
einer Epoche, welche auf eine reich, ja überreich verzierte Wohnung
Len größten Werth legte! Was man auch vom Rokoko, dem Haupt-
kunststil des achtzehnten Jahrhunderts denken mag, so ist doch das sicher,

Gemächern zeigen, so erscheint das Rokoko wie spurlos verschwunden.
Offenbar bestand eine größere Sympathie zwischen dem nachfolgen-
den Stil der letzten Zeit des „vielgeliebten" Ludwigs XV. und des
sechzehnten Ludwig und dem bürgerlichen Haufe. Das Rokoko hat
keinen Reiz, wenn es nicht mit einem gewissen Uebermuth der Laune
zur Darstellung gekommen, und insofern ist es aristokratisch und stellt
sich dem ruhigen, gesetzten Bürgersinn gegenüber. Ganz im Gegen-
satz wird nun der Stil Louis XVI., wie dieser König selber, gewisser-
maßen bürgerlich, steif und gemessen in feinen Formen, maßvoll in
feinem Ornament, selbst wo es prunken soll, verhältnißmäßig bescheiden
in seiner ganzen Wirkung. Vollständig gerade Linien der 'Konstruktion,
dünne Verhältnisse, zarte Färbung, ein wenig Vergoldung im Metall-
beschlag von Bronze, zierlich ausgeführte, aber meist einfache Marque-
tonie in den natürlichen Holztönen, graue oder gemalte Stuckornamente,
so stellt sich auch die bessere Wohnung seit den siebziger Jahren des
vorigen Jahrhunderts dar. Man sehe z. B. die sonst so reizvollen
und charakteristischen Stiche von Lhodowiecki, wie steif, wie leer, wie
nüchtern sind diese bürgerlichen Zimmer, die der Künstler gewiß nach
der Wirklichkeit gezeichnet hat! Oder man betrachte die Bilder von
 
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