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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 16.1936

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Heft 1
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Schulz, Eberhard: Der Teufel hinter der Leinewand..
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0017

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Was aber ist das Böse? Es ist im wesentlichen eine Anmaßung, mehr zu*sein,
als das Leben uns erlaubt. Geld zu wollen, wo wir nicht dürfen — da ist der
Einbruch. Lieb zu haben, wo wir nicht dürfen — der Eheskandal oder eine Mes^
alliance. Rache zu üben, wenn alles danach schreit — das kann einen Mord geben,
und gegen Hunger zu protestieren, führt zu Krawallen. Würden die Menschen
ewig in ihren Grenzen bleiben, so passierte kein Mord, Diebstahl oder Ehebruch.
Aber sie bleiben nicht, und so gibt es Polizei, damit jeder seine Straße wandelt. Es
ist nicht menschlich, auf seiner Straße zu wandeln. Menschlich ist vielmehr, nach
den Sternen zu greifen, hoch hinaus zu wollen, Stärke zu zeigen und mutig zu sein.
Die Entwicklung hat das Bestreben, die Erdoberfläche in ein Blumenbeet zu
verwandeln oder eine glattgerollte Asphaltstraße mit Bürgersteig und Sicherheit^
lampen. Das mag bequem sein. Eigentlich menschlich ist es nicht. Menschlich
ist es, eine dicke Zigarre zu paffen, auch wenn man sie nicht bezahlen kann.
Menschlich ist es, einen Fünfziger, noch einen und noch einen in die Lotterie zu
stecken, auch wenn das Abendbrot dafür hops geht. Menschlich ist es, durchs
zubrennen, mit D^Zug und ohne, zu unterschlagen und an der Ostsee im Strande
korb zu sitzen, Cocktail zu trinken und abends zu tanzen. Menschlich ist alles,
was über unser Gehalt von 150 Rentenmark geht und was wir nicht haben ...
Das ist Kino
Also bitte hineinspaziert, da haben wir's sicher. Einen Ritt in den Süden,
Palmen und Sonne und vielleicht sogar einen veritablen Mord. Eine ganz große
Tollheit, einen Hotelbrand, entgleiste Züge, wimmernde Frauen usw. Ja, so ist
es, das Kino serviert das Unerlaubte, die Verbrechen in der sublimsten Form bis
hin zur großen, wo wir mit einem Krach einen Fußball durch die Fensterscheiben
hauen und das Glashaus der Gesetze in Trümmer zerfällt. Jeder Hermelin, den wir
im Kino besehen, ist ein zarter Diebstahl und jeder Cocktail eine Sünde. Allere
dings nur eine kleine Fünfzigpfennig^Sünde, denn nach zwei Stunden erlöschen
unsere Besitzerrechte und wir stehen wieder in unserem schäbigen Mantel da.
Wir werden uns nunmehr erlauben zu sagen, was der Film eigentlich ist.
Er hat mit Naturalismus nichts zu tun. Die Wirklichkeit ist nichts als Kulisse,
und Kulturfilme sind leicht langweilig, wie sofort zu ersehen ist, und die Wochen^
schauen wären es auch, wenn sie tatsächlich Wirklichkeiten brächten, aber sie
bringen Motorbootrennen, und das ist ein schmaler Seiltanz zwischen Leben und
Tod, Oben und Unten, Tag und Nacht.
Ein Tag dauert 24 Stunden, ein Film hat 80 Minuten. So lange dauert das
Kesseltreiben, in dem der Teufel beinah gewinnt. Nur weil der Böse mitspielt,
rennen die Bilder. Das ist die Spannung, das und nichts anderes. Wir sollten ihm
dankbar sein für seine Mitarbeit. Es brauchen — um zum Schluß bescheiden
zu sein — keine wüsten Verbrechen zu sein, die deutlich gezeigt werden. Der
große schwarze Schatten an der Wand ist schon genug. Und sonst nur eine kleine
Irregularität, eine kleine Mutsache, die zivilerweise verpönt ist, Ansprechen auf
der Straße und Heiraten ohne Gehalt. Ein kleiner Griff über den Gartenzaun
hinaus in das Blumenbeet der Wünsche. Wenn wir das getan haben, gehen wir
ruhig nach Hause. Wenn der Film aus ist.

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