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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 16.1936

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Heft 7
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Kießig, Martin: Der Dichter auf dem Meere
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0588

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DER DICHTER AUF DEM MEERE
Von
MARTIN KIESSIG
Natürlich war ich riesig gespannt auf dieses seltsame Schiff M.S. „Krake",
die schwimmende literarischeWerkstätte, auf der Martin Luserke, der Dichter,
wohnt und schafft. In Wirklichkeit ist die „Krake" ja die alte „ZK 14", ein hob
ländisches Fischerboot von ganz merkwürdiger Art. Manchmal, wenn abends
Besuch an Bord kam und wir gedrängt in der Kajüte hockten, erzählte Luserke
Geschichten aus der Vergangenheit des Schiffes, als der alte, pfiffige und ver^
soffene Obadjah noch auf ihr fuhr und seltsame, tolle Abenteuer erlebte. Da
war einmal der Teufel unter der „ZK 14" und mußte das Schiff auf seinem breiten
Buckel tragen, als es in Triebsand geraten war und zu versacken drohte. Von
damals rührt es her, daß der flache Boden der „ZK 14" noch heute so schwarz
und blank und wie verkohlt ist. Ich habe es selber gesehen, als wir einmal im
Watt trocken gefallen waren und das ganze schwerbauchige Schiff frei auf dem
Sand lag ...
So verwahrlost wie damals zu Obadjahs Zeiten ist die „ZK 14" heute frei^
lieh nicht mehr. Im Gegenteil. Seit sie „Krake" heißt, ist sie ein schmuckes Schiff
geworden. Sie hat die breite, behäbige Form der Fischertjalken mit rundem,
Bug und geringem Tiefgang. Sie ist aus schwerem, solidem Eichenholz gebaut
und mit silbern schimmerndem Eisenblech beschlagen. Doch führt sie noch von
Obadjahs Zeiten her die Segel mit dem alten Zeichen „ZK 14".
In seiner wohnlich engen Kajüte mit dem solid gebauten Schreibtisch, dem
Bücherbrett, eingebauten Schränken und Schlafkoje wohnt der Dichter. Zuerst
überraschen uns die erstaunlichen Holzschnitzereien an den Wänden. Das erste
dieser Reliefs, das figurenreiches Rankenwerk und eine verwirrende Fülle sym>
bolischer Gestalten zeigt, hat Luserke in der französischen Kriegsgefangenschaft
geschnitzt. Heute betreibt er diese Kunst nicht anders als der germanische Bauer,
der an langen Winterabenden Pfosten, Türen und Deckengebälk seiner Stube
mit Schnitzwerk versieht.
Auch ein paar Bücher sind da: Wilheim Meister, Gösta Berling, Ulenspiegel,
Skaldengeschichten und Märchen, die die Form des Aufbaus und der Sprache
zeigen, der auch Luserkes Kunstform verwandt ist. In der engen Kajüte, in denen
noch Karaki, der Wellensittich, wohnt, bunt und furchtbar schüchtern, aber
von allen geliebt — hier ist auch Luserkes neues Werk, der große Wassergeusen^
Roman „Hasko", begonnen und zum großen Teil ausgearbeitet worden.
Die Dichtung, die hier entsteht, ist erlebt und erfahren im ursprünglichsten
und wörtlichsten Sinn. Hier hat kein Literatengeschwätz Bestand, hier kennt
man keine Studierstubenluft. Luserke, der Dichter, ist zugleich auch Luserke,
der Seemann, und er ist stolz darauf, wenn er von Schiffern und Fischern für
einen alten Kapitän gehalten wird. Er ist es ja auch, und Dieter, sein Sohn, hat
bei ihm angeheuert, und seine Tochter verwaltet trefflich die Küche und sorgt
in zahllosen Streitgesprächen für Munterkeit.

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