Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt
— 16.1936
Zitieren dieser Seite
Bitte zitieren Sie diese Seite, indem Sie folgende Adresse (URL)/folgende DOI benutzen:
https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0759
DOI Heft:
Heft 9
DOI Artikel:Zoščenko, Michail Michajlovič: Kulkows Maulschellen
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0759
KULKOWS MAULSCHELLEN
Von
MICHAIL SOSTSCHENKO
In Michail Sostschenko hat Sowjetrußland seinen
„offiziellen" Satiriker gefunden. Seine in Rußland be-
liebten Humoresken werfen grelle Schlaglichter auf die
Zustände im Sowjetreich.
Weissen Sie schon? Der Bürokratismus hat bei uns aufgehört, eine Gefahr
VV zu sein. Jawohl: der Amtsschimmel hat seinen Schrecken verloren.
Nämlich da hat neulich ein sehr geschätzter Genosse — - Kulkow heißt
er, Fedor Aleksejewitsch Kulkow — eine neue Methode im Kampf gegen
den Bürokratismus erfunden. Ein genialer Kopf, nicht wahr?
Und dabei ist die Methode so wirksam und so leicht anwendbar, daß
man sie wahrhaftig im Ausland patentieren lassen müßte. Bedauerlicher-
weise aber ist Fedor Aleksejewitsch Kulkow im Augenblick am Reisen ver-
hindert — der Ärmste büßt nämlich gerade seine Erfindung hinter eisernen
Gittern ab... Tja. Denn bekanntlich gilt der Prophet nichts in seinem
Vaterlande.
Na, Kulkows Methode also ist folgende:
Kulkow pflegte sehr oft eine gewisse hochverehrliche Behörde aufzu-
suchen. In einer bestimmten, ihn selber betreffenden Angelegenheit. Seit
ein, zwei Monaten bereits ging er hin. Täglich. Und immer ohne Erfolg.
Das heißt, die Bürokraten dieser Behörde schenkten ihm absolut keine
Beachtung — er mochte noch so viel bitten und betteln. Sie suchten seine
Akten einfach nicht hervor. Schickten ihn von Zimmer zu Zimmer, von
Stockwerk zu Stockwerk. Boten ihm Frühstücksstullen an. Oder aber
schnaubten sich bloß höhnisch die Nasen, anstatt zu antworten.
Man muß nun allerdings zugeben, daß sie es auch nicht leicht haben,
diese Bürokratenseelen. Denn tagtäglich werden sie von Dutzenden von
Leuten mit allerlei dummen Fragen belästigt. Dadurch mag sich bei ihnen
auch unwillkürlich so eine gewisse Nervosität und Grobheit heranbilden.
Leider konnte nun Kulkow auf diese intimen psychologischen Feinheiten
keine Rücksicht mehr nehmen. Er konnte nämlich absolut nicht länger warten.
„Wenn ich's heute nicht schaffe, kann ich mich getrost begraben lassen,"
dachte er sich: „Denn dann wird es mindestens noch einen Monat dauern.
Ich will mir daher lieber irgendeinen aus dem Büropersonal vornehmen
und ihn, zunächst einmal nur ganz leicht, in die Schnauze schlagen. Vielleicht
erreiche ich dadurch, daß man mir eine gewisse wohlwollende Beachtung
zuteil werden läßt und meine Sache endlich in Schwung bringt."
So denkend, begab sich unser Fedor Kulkow auf alle Fälle in das unterste
Stockwerk — damit er, falls man ihn im Verlauf der Ereignisse zum Fenster
hinauswürfe, nicht allzu schmerzhaft zu fallen brauche.
Als er hier nun gemächlich durch die Räume schlenderte, bot sich seinem
Blick plötzlich eine empörende Szene dar. Sitzt da in einem weichgepolster-
3*
547
Von
MICHAIL SOSTSCHENKO
In Michail Sostschenko hat Sowjetrußland seinen
„offiziellen" Satiriker gefunden. Seine in Rußland be-
liebten Humoresken werfen grelle Schlaglichter auf die
Zustände im Sowjetreich.
Weissen Sie schon? Der Bürokratismus hat bei uns aufgehört, eine Gefahr
VV zu sein. Jawohl: der Amtsschimmel hat seinen Schrecken verloren.
Nämlich da hat neulich ein sehr geschätzter Genosse — - Kulkow heißt
er, Fedor Aleksejewitsch Kulkow — eine neue Methode im Kampf gegen
den Bürokratismus erfunden. Ein genialer Kopf, nicht wahr?
Und dabei ist die Methode so wirksam und so leicht anwendbar, daß
man sie wahrhaftig im Ausland patentieren lassen müßte. Bedauerlicher-
weise aber ist Fedor Aleksejewitsch Kulkow im Augenblick am Reisen ver-
hindert — der Ärmste büßt nämlich gerade seine Erfindung hinter eisernen
Gittern ab... Tja. Denn bekanntlich gilt der Prophet nichts in seinem
Vaterlande.
Na, Kulkows Methode also ist folgende:
Kulkow pflegte sehr oft eine gewisse hochverehrliche Behörde aufzu-
suchen. In einer bestimmten, ihn selber betreffenden Angelegenheit. Seit
ein, zwei Monaten bereits ging er hin. Täglich. Und immer ohne Erfolg.
Das heißt, die Bürokraten dieser Behörde schenkten ihm absolut keine
Beachtung — er mochte noch so viel bitten und betteln. Sie suchten seine
Akten einfach nicht hervor. Schickten ihn von Zimmer zu Zimmer, von
Stockwerk zu Stockwerk. Boten ihm Frühstücksstullen an. Oder aber
schnaubten sich bloß höhnisch die Nasen, anstatt zu antworten.
Man muß nun allerdings zugeben, daß sie es auch nicht leicht haben,
diese Bürokratenseelen. Denn tagtäglich werden sie von Dutzenden von
Leuten mit allerlei dummen Fragen belästigt. Dadurch mag sich bei ihnen
auch unwillkürlich so eine gewisse Nervosität und Grobheit heranbilden.
Leider konnte nun Kulkow auf diese intimen psychologischen Feinheiten
keine Rücksicht mehr nehmen. Er konnte nämlich absolut nicht länger warten.
„Wenn ich's heute nicht schaffe, kann ich mich getrost begraben lassen,"
dachte er sich: „Denn dann wird es mindestens noch einen Monat dauern.
Ich will mir daher lieber irgendeinen aus dem Büropersonal vornehmen
und ihn, zunächst einmal nur ganz leicht, in die Schnauze schlagen. Vielleicht
erreiche ich dadurch, daß man mir eine gewisse wohlwollende Beachtung
zuteil werden läßt und meine Sache endlich in Schwung bringt."
So denkend, begab sich unser Fedor Kulkow auf alle Fälle in das unterste
Stockwerk — damit er, falls man ihn im Verlauf der Ereignisse zum Fenster
hinauswürfe, nicht allzu schmerzhaft zu fallen brauche.
Als er hier nun gemächlich durch die Räume schlenderte, bot sich seinem
Blick plötzlich eine empörende Szene dar. Sitzt da in einem weichgepolster-
3*
547