Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt
— 16.1936
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0752
DOI Heft:
Heft 9
DOI Artikel:Stolzing, Josef: Der Mutter Maulschellen
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DER MUTTER MAULSCHELLEN
Von
JOSEF STOLZING-CERNY
Melancholie der Jugend! Eine Erscheinung, die wir durchleben, wenn
jene geheimnisvolle Umwälzung, die wir Reifwerden nennen, aus
dem Knaben den Jüngling, aus dem Mädchen die Jungfrau gestaltet.
Trübsinn darüber, daß uns dabei die schöne Unschuld der Kindheit ver-
loren geht? Als Ersatz dafür kommt dann allerdings die erste Liebe...
Ein tuberkulöser Prozeß verbannte mich lange vor Schulschluß in eine
staubfreie, mittelgebirgige Landschaft, wo ich nach einem halben Jahre
genas. Die Krankheit kostete mich jedoch ein Schuljahr, was mich sehr
verdroß, denn die Erfüllung meines sehnsüchtigsten Wunsches, in die
Artilleriekadettenschule einzutreten, erschien dadurch hinausgeschoben. Ob
ich deshalb trübsinnig wurde oder unter den Nachwirkungen meiner Er-
krankung, darüber hatte ich wohl nie nachgegrübelt.
So träumte und duselte ich dahin, die schwermütige Natur meines
Vaters überwog den fröhlichen Humor der Mutter, die ich öfters sagen
hörte: „Du und dein Vater geht's beide auf den Dachboden lachen!"
Als aber alles nichts gegen meinen Trübsinn half, wurde wieder der
Hausarzt zu Rate gezogen, der als Heilmittel anriet, mich ein Musik-
instrument erlernen zu lassen. Zither war damals die große Mode, und so
nahm ich bei Professor Penninger Unterricht im „Zithern".
Da ich ein halbwegs gutes musikalisches Gehör besitze, erlernte ich die
„Zitherei" ohne sonderliche Mühe, allein das Verhängnis wollte es, daß
auch sie „zitherte".
Sie, Gisela Roseck!
Merkwürdig, Gisela scheint ein Kettenname in meinem Leporello-
Register zu sein, denn auch sie, meine eigentlich große Leidenschaft —
sieben Jahre später — hieß so, und dann folgten noch etliche Giselas
zweiten Ranges...
Aber das Verhängnis schritt unbarmherzig seiner Wege. Es wollte, daß
sie stets „ausgezithert" hatte, wenn ich „einzitherte". Wir begegneten ein-
ander nämlich nur im Vorzimmer oder gar schon auf der Treppe, wenn
sie, die entzückende Goldblondine von siebzehn Jahren, ging, und ich, der
Fünfzehnjährige, kam. Ehrfurchtsvolles Grüßen meinerseits, ein kühles
Kopfnicken ihrerseits.
Bis der „Hoch-Habsburg-Marsch" kam, der unsere Gefühle auslöste!
Als wir beide etwa ein Jahr „gezithert" hatten, führte Professor
Penninger seine Schüler und Schülerinnen in Freiheit dressiert vor, die
besten mit Einzelvorträgen, die minder Vorgeschrittenen so en mässe, da-
mit es das Publikum nicht merkte, wenn mal einer oder eine umschmiß.
Der „Hoch-Habsburg-Marsch" von Kral, der später auch von den deutschen
Militärkapellen viel gespielt wurde, gab den Schlußeffekt: Von dreizehn
„Zithermännchen" und „Zitherweibchen" vorgetragen.
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Von
JOSEF STOLZING-CERNY
Melancholie der Jugend! Eine Erscheinung, die wir durchleben, wenn
jene geheimnisvolle Umwälzung, die wir Reifwerden nennen, aus
dem Knaben den Jüngling, aus dem Mädchen die Jungfrau gestaltet.
Trübsinn darüber, daß uns dabei die schöne Unschuld der Kindheit ver-
loren geht? Als Ersatz dafür kommt dann allerdings die erste Liebe...
Ein tuberkulöser Prozeß verbannte mich lange vor Schulschluß in eine
staubfreie, mittelgebirgige Landschaft, wo ich nach einem halben Jahre
genas. Die Krankheit kostete mich jedoch ein Schuljahr, was mich sehr
verdroß, denn die Erfüllung meines sehnsüchtigsten Wunsches, in die
Artilleriekadettenschule einzutreten, erschien dadurch hinausgeschoben. Ob
ich deshalb trübsinnig wurde oder unter den Nachwirkungen meiner Er-
krankung, darüber hatte ich wohl nie nachgegrübelt.
So träumte und duselte ich dahin, die schwermütige Natur meines
Vaters überwog den fröhlichen Humor der Mutter, die ich öfters sagen
hörte: „Du und dein Vater geht's beide auf den Dachboden lachen!"
Als aber alles nichts gegen meinen Trübsinn half, wurde wieder der
Hausarzt zu Rate gezogen, der als Heilmittel anriet, mich ein Musik-
instrument erlernen zu lassen. Zither war damals die große Mode, und so
nahm ich bei Professor Penninger Unterricht im „Zithern".
Da ich ein halbwegs gutes musikalisches Gehör besitze, erlernte ich die
„Zitherei" ohne sonderliche Mühe, allein das Verhängnis wollte es, daß
auch sie „zitherte".
Sie, Gisela Roseck!
Merkwürdig, Gisela scheint ein Kettenname in meinem Leporello-
Register zu sein, denn auch sie, meine eigentlich große Leidenschaft —
sieben Jahre später — hieß so, und dann folgten noch etliche Giselas
zweiten Ranges...
Aber das Verhängnis schritt unbarmherzig seiner Wege. Es wollte, daß
sie stets „ausgezithert" hatte, wenn ich „einzitherte". Wir begegneten ein-
ander nämlich nur im Vorzimmer oder gar schon auf der Treppe, wenn
sie, die entzückende Goldblondine von siebzehn Jahren, ging, und ich, der
Fünfzehnjährige, kam. Ehrfurchtsvolles Grüßen meinerseits, ein kühles
Kopfnicken ihrerseits.
Bis der „Hoch-Habsburg-Marsch" kam, der unsere Gefühle auslöste!
Als wir beide etwa ein Jahr „gezithert" hatten, führte Professor
Penninger seine Schüler und Schülerinnen in Freiheit dressiert vor, die
besten mit Einzelvorträgen, die minder Vorgeschrittenen so en mässe, da-
mit es das Publikum nicht merkte, wenn mal einer oder eine umschmiß.
Der „Hoch-Habsburg-Marsch" von Kral, der später auch von den deutschen
Militärkapellen viel gespielt wurde, gab den Schlußeffekt: Von dreizehn
„Zithermännchen" und „Zitherweibchen" vorgetragen.
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