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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 16.1936

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Heft 7
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Lüdecke, Heinz: Die Geschichte vom kalten Wasser
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0575

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DIE GESCHICHTE VOM KALTEN WASSER
Von
HEINZ LUEDECKE

Frisches Wasser — frischer Mut!" stand auf den „Paradehandtüchern" unserer
Großmütter. Sie hatten recht, die würdigen Damen. Aber hatten sie auch
das Recht, recht zu haben? Will sagen: war ihr Verhältnis zum frischen Wasser
derart innig, daß sie so etwas mit reinem Gewissen und aus Erfahrung behaupten
konnten?
Wie ging es denn im vorigen Jahrhundert zu? Kaiser Wilhelm I. ließ sich,
wenn er baden wollte, aus dem Hotel de Rome die Wanne per Achse ins Schloß
transportieren. Dort gab es nämlich keine. Und Majestät geruhten höchstens
einmal in der Woche zu baden.
Doch immerhin: man badete
damals schon. Was ein beträchfr
licher Fortschritt war, wenn man
bedenkt, daß ein Mann von der
geistigen Kultur Friedrichs des
Großen, und mit ihm das ganze
Rokoko, die heftigste Scheu vor
jeglichem Wasser hatte.
Das Rokoko war kultiviert,
aber schmuddelig und un^
gesund. Parfüm ersetzte frisches
Wasser, und die bereifrockten
Damen litten am Floh, an der
Bleichsucht und an den be^
rüchtigten „Nervenzufällen".
Kurzum: der Kopf gedieh auf
Kosten des Rumpfes. Wir suchen


und finden am Wochenende den Das Schwemme„ foold Schilling, f4&
Jahrhundertanfang einer neuen
Kultur: Einheit des Körpers und des Geistes. Das Rokoko, auf seinem Gipfel der
Natur extrem entfremdet, gebar aus sich den Widerspruch seiner selbst: Sturm,
Drang, neue Natürlichkeit und — das Freibad.
Die Geburt des Freibades aus dem Ungeiste einer sterbenden Kultur spiegelt
sich reizvoll in einem Buche des Wiener Arztes Pascal Joseph von Ferro, das den
„Gebrauch der kalten Bäder" erörtert (1781):
„Wenn man die Folgen der heutigen Lebensart untersucht, so ergibt sich von
selbst, daß sie sich alle in Schwäche des Körpers und einer zu starken Reizbarkeit
der Nerven konzentrieren, welche zusammen das ausmachen, was man eigentlich
unter den Namen ,Nervenschwäche' und ,Krämpfungen' versteht." Und das
„regelmäßige kalte Bad" wird ein vorzüglicher Mittel sein, „in der volkreichen
Stadt, mitten im jetzigen Luxus, die natürliche Stärke des Körpers wiederherzu^

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