Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt
— 16.1936
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0311
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Heft 4
DOI Artikel:Brün, Theodor: Der Umbruchteufel
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Verner Hegenbarth
DER UMBRUCHTEUFEL
Von
THEODOR BRUN
In der Literatur treibt ein tückischer Setzkastenkobold sein Unwesen. Er ist
tausendmal gefährlicher als der gefürchtete Druckfehlerteufel. Dieser ist im
Vergleich zu ihm ein harmloser Lump, ein kleiner Betrüger, der geringfügige
Schäden stiftet. Denn was hat es schon zu sagen, wenn eine Sängerin statt mit
Applaus mit Applmus überschüttet wird, oder wenn sich ein Tierschutzverein in
einen Eierschutzverein verwandelt. Keinem zivilisierten Leser fiele es ein, den
Autor für ein derartiges Vergehen verantwortlich zu machen.
Ganz anders ist es mit der Tätigkeit unseres Kobolds bestellt. Er tauscht nicht
Lettern aus, nein, er stiehlt sie. Heimtückisch lauert er im Winkel und dann —
in einem unbewachten Augenblick — holt er sich mit einem frechen Griff ganze
Ladungen von Lettern und Zeilen und läßt sie verschwinden, als wären sie nie
gesetzt worden. Und der betrogene Autor sieht entsetzt sein verstümmeltes
geistiges Kind und beugt verstört sein Haupt angesichts des Schandprodukts,
das seinen Namen trägt.
Dieser Kobold hat eine eigene Taktik. Er ist ein Meister des Guerillakrieges.
Er sucht sich ein Opfer und läßt es nicht eher aus, als bis er es zur Strecke ge^
bracht hat. Auch ich weiß ein Lied, nein, einen Trauerchoral, davon zu singen.
Mein erstes Abenteuer mit dem Unhold erlebte ich gleich bei meinem literal
rischen Debüt. Eine Zeitschrift, die inzwischen mit Recht eingegangen ist, ver>
öffentlichte die erste Probe meines lyrischen Schaffens. Das Gedicht hieß: „An Lie!"
Hier der erschütternde Inhalt (Anmerkung: Alle Rechte, insbesondere das der
Dramatisierung und Verfilmung, Vorbehalten!):
Und träumend naht der Abend, dumpf und schwer,
Die Nebelschattenbilder wanken,
Und meine Seele wird so dumpf, so leer,
Bei einem ängstlichen Gedanken.
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