Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt
— 16.1936
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0222
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Heft 3
DOI article:Christiansen, Friedrich: Nati Morales tanzt
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NATI MORALES TANZT
Von
FRIEDRICH CHRISTIANSEN
A n der Stelle einer früheren Moschee, jetzt die Kirche S. Salvador, die wohl
1 den schönsten Ausblick vom Albaicin auf die Alhambra bietet, entsteigen
wir am Spätnachmittag dem Wagen. Nach vielen Irrwegen und Erkundigungen,
etwas ermüdet durch verwirrendes Klettern in den engen Gassen des Berghanges
von Granada, stehen wir dann endlich vor der unscheinbaren Pforte einer langen
hohen Mauer.
Mit spanischer Zuvorkommenh'eit empfängt uns der Hausherr.
Im Gang an der Mauer, wo man einen freien Blick über das Darrotal zur
Alhambra hinüber hat, plaudern wir bald bei Gitarrenklängen.
Da! — Ein sprudelndes Kastagnettengeschmetter kommt aus dem Hause, die
Fanfare der Tänzerin. Da steht die Nati zwischen den flammenden Blumenstöcken.
Lächelnd überblickt sie ihr Publikum, Feuer in den dunklen Augen.
„Wollen wir nicht lieber auf den Mirador gehen, wo noch in der Sonne getanzt
werden kann?" schlage ich vor.
„Otra que tal baila. Das ist ein guter Einfall", stimmt mir die Nati zu Das
hübsche Wort Mirador rechtfertigt der herrliche Blick auf das Wunderschloß,
das aus dem Darrotal über dem Grün des Monte de la Asabica malerisch empört
steigt. Vor diesem unvergleichlich schönen Hintergrund der Alhambra tanzt
nun die Nati den Tango ßamenco.
Der Tango kam erst nach der Entwicklung der Kinos und Varietes im übrigen
Europa in Mode, jedoch ohne die sehr gewagten Bewegungen des südamerikani^
sehen und ohne die zigeunerische Rassigkeit des spanischen Stils. Neuerdings ist
der internationale Tango zu einem gefühllosen Gehtanz geworden und hat gar
keine Ähnlichkeit mit dem gleichnamigen spanischen Flamenco^Solotanz, aus dem
der andalusische Zigeunergeist so urwüchsig leuchtet. Die spanische Zigeunerin
tanzt ihre Liebe in herrschender Gebärde. Sie tanzt vor dem Mann angriffsweise,
flüchtig ihn ihre Absicht erspähen lassend. Nur in plötzlichem Aufblitzen ihrer
Augen enthüllt sie, welch stürmischer Liebe sie fähig ist. Gerade genug, um es auf
seine Phantasie wie eine Prise Dynamit wirken zu lassen.
In einem entzückenden Schleppenkleid erscheint Nati alsdann langsam, unter
verführerischen, zigeunerischen Gesten, vom goldenen Abendsonnenschein um^
flossen. In der Ferne leuchtet aus den sich teilenden Wolken der ewige Schnee
der Sierra Nevada. Natis Augen gleiten blitzend, lockend und lächelnd über uns
hin. Mit einer plötzlichen geschmeidigen Gebärde, stolz die Haltung, ist sie vor^
geglitten. Zündend springt die Spannung auf uns über.
Nach einigen zierlichen Schritten beginnt sie den Solearestanz. Die Soleares
äußern gewöhnlich einen Gedanken, den die tiefe Feinfühligkeit des Andalusiers
in Melodie und Tanz übersetzt. Sie gefallen dem Volke am meisten, weil es darin
Wunsch, Furcht, Liebe, Prahlerei, alle Stimmungen seines Gemütes rhythmisch
übertragen kann. Um sie schön zu singen und ein getreues Abbild des tief empfing
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Von
FRIEDRICH CHRISTIANSEN
A n der Stelle einer früheren Moschee, jetzt die Kirche S. Salvador, die wohl
1 den schönsten Ausblick vom Albaicin auf die Alhambra bietet, entsteigen
wir am Spätnachmittag dem Wagen. Nach vielen Irrwegen und Erkundigungen,
etwas ermüdet durch verwirrendes Klettern in den engen Gassen des Berghanges
von Granada, stehen wir dann endlich vor der unscheinbaren Pforte einer langen
hohen Mauer.
Mit spanischer Zuvorkommenh'eit empfängt uns der Hausherr.
Im Gang an der Mauer, wo man einen freien Blick über das Darrotal zur
Alhambra hinüber hat, plaudern wir bald bei Gitarrenklängen.
Da! — Ein sprudelndes Kastagnettengeschmetter kommt aus dem Hause, die
Fanfare der Tänzerin. Da steht die Nati zwischen den flammenden Blumenstöcken.
Lächelnd überblickt sie ihr Publikum, Feuer in den dunklen Augen.
„Wollen wir nicht lieber auf den Mirador gehen, wo noch in der Sonne getanzt
werden kann?" schlage ich vor.
„Otra que tal baila. Das ist ein guter Einfall", stimmt mir die Nati zu Das
hübsche Wort Mirador rechtfertigt der herrliche Blick auf das Wunderschloß,
das aus dem Darrotal über dem Grün des Monte de la Asabica malerisch empört
steigt. Vor diesem unvergleichlich schönen Hintergrund der Alhambra tanzt
nun die Nati den Tango ßamenco.
Der Tango kam erst nach der Entwicklung der Kinos und Varietes im übrigen
Europa in Mode, jedoch ohne die sehr gewagten Bewegungen des südamerikani^
sehen und ohne die zigeunerische Rassigkeit des spanischen Stils. Neuerdings ist
der internationale Tango zu einem gefühllosen Gehtanz geworden und hat gar
keine Ähnlichkeit mit dem gleichnamigen spanischen Flamenco^Solotanz, aus dem
der andalusische Zigeunergeist so urwüchsig leuchtet. Die spanische Zigeunerin
tanzt ihre Liebe in herrschender Gebärde. Sie tanzt vor dem Mann angriffsweise,
flüchtig ihn ihre Absicht erspähen lassend. Nur in plötzlichem Aufblitzen ihrer
Augen enthüllt sie, welch stürmischer Liebe sie fähig ist. Gerade genug, um es auf
seine Phantasie wie eine Prise Dynamit wirken zu lassen.
In einem entzückenden Schleppenkleid erscheint Nati alsdann langsam, unter
verführerischen, zigeunerischen Gesten, vom goldenen Abendsonnenschein um^
flossen. In der Ferne leuchtet aus den sich teilenden Wolken der ewige Schnee
der Sierra Nevada. Natis Augen gleiten blitzend, lockend und lächelnd über uns
hin. Mit einer plötzlichen geschmeidigen Gebärde, stolz die Haltung, ist sie vor^
geglitten. Zündend springt die Spannung auf uns über.
Nach einigen zierlichen Schritten beginnt sie den Solearestanz. Die Soleares
äußern gewöhnlich einen Gedanken, den die tiefe Feinfühligkeit des Andalusiers
in Melodie und Tanz übersetzt. Sie gefallen dem Volke am meisten, weil es darin
Wunsch, Furcht, Liebe, Prahlerei, alle Stimmungen seines Gemütes rhythmisch
übertragen kann. Um sie schön zu singen und ein getreues Abbild des tief empfing
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