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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 16.1936

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Heft 6
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"Wie wir uns fanden"
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0471

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„Wie wir uns fanden"
Fragt man nach den Orten und Gelegenheiten, wo unsere Eltern sich fanden,
so antwortet folgende Statistik:
Ausflugsrestaurant, Biergarten usw.: 2
Sport und Spiel: 3
Ball und Geselligkeit: 2
Reise: 3
Kirche: 2
Straße: 2
Beruf: 3
Von Kindheit an verbunden: 5
In zwölf Fällen lernten sich die jungen Leute in Gegenwart ihrer Eltern,
Tanten oder Vormünder kennen, und nur in acht Fällen allein.
So berichtet eine vom Redakteur des „FamilienWochenblattes" im Jahre 189;
herausgegebene Schrift.
Ein „in strenger Zurückgezogenheit groß gewordenes Mädchen", das sich in
einen jungen Lehrer verliebt, schreibt:
„Geschickt wußte er das Gespräch in Fluß zu bringen und derart zu gestalten'
daß auch ich mich allmählich ein klein wenig daran beteiligen konnte, ohne bei
jedem Worte zu erröten . . ." Später blieb sie fast ganz „vom lästigen Erröten
verschont; nur wenn er beim Abschiednehmen mir die Hand drückte und
mir gar zu tief in die Augen guckte, ward mir etwas warm". Noch später hielt
er „bei der Mutter, die ihn sprachlos anstarrte, um meine Hand an; dann trat er
auf mich zu, schlang seinen Arm um meinen Hals und sagte: Liebe Lydia, sage
auch du der Mutter, daß du mich herzlich lieb habest und mit mir durchs Leben
gehen wollest!" Sie hauchte „Ja", und die Frau Mutter sprach: „Gott segne
euern Herzensbund!"
Fall Nr. 2: Ein Kaufmann hat seine ehemalige Buchhalterin geheiratet, die,
übers Hauptbuch gebückt, schon lange heiße Tränen um ihren heimlich ach so
geliebten Chef vergoß. Dieser erzählt: „Jene Träne aber, die meine Buchhalterin
damals geweint, sie habe ich nie vergessen können, sie stand fürs Leben im Kredit
meines Weibes. Wie sagt doch das alte Lied: Die Träne, die vergeß ich nie, die
du um mich geweint."
Beispiel Nr. 3: „Er" lernt „sie" auf der Straße kennen: „Allmählich verlor die
junge Dame ihre anfängliche Schüchternheit und wurde zutraulicher. Ach, wie
reizend konnte sie plaudern! Als wir am Dönhoffsplatz anlangten, wußte ich alles:
Besuch einer Freundin, Verpassung des abzuholenden dienstbaren Geistes, Auf
bruch auf eigene Faust und — klägliches Fiasko. ,Ich bin nämlich erst zwei Mo^
nate in Berlin', entschuldigte sie sich zum Schlüsse ihres Berichtes."

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