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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 16.1936

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Heft 1
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Berger, Marcel: Fünf Tausender...
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0057

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FÜNF TAUSENDER...
Von
MARCEL BERGER
Wir wollten ins Theater gehen. Wie oft war ich zuerst fertig und ging zum
Auto hinunter, um noch schnell zu tanken, während meine Frau die letzten
Glanzlichter auf ihre Schönheit setzte. Rasch zur nächsten Benzinstation und
wieder zurück. In der schlecht beleuchteten und menschenleeren Straße — es
war Herbst — fuhr ich mit kühnem Schwünge vor meinem Hause vor. Meine
Frau erwartete mich bereits, ich öffnete die Wagentür, wir fuhren los ... und
plötzlich sah ich zehn Schritte von unserm Haus entfernt, das genau die Ecke
bildet, an der Mündung einer Seitengasse quer über der Straße einen Mann liegen.
War er vorhin auch schon dagewesen? Gesehen hatte ich ihn jedenfalls nicht.
War es ein Betrunkener oder ein Kranker? Oder gar eine Leiche?... Ein Üben
fahrener? ... Alle diese tragischen Möglichkeiten streiften meine Gedanken
flüchtig. Der Schläfer . . ., denn was sollte er sonst sein . . ., machte einen durchaus
friedlichen Eindruck. Er sah nicht so aus, als seien die Räder meines Wagens über
ihn hinweggegangen. Und noch weniger konnte ich mich an irgendwelchen Ruck
erinnern. Nein ... nicht der winzigste Stoß .. ., ich konnte es beschwören.
Ich wußte sehr wohl, daß die Menschlichkeit jetzt gebieten würde, auszusteigen
und nachzusehen ... Aber wozu?... Dieses Stadtviertel war im allgemeinen alles
eher als einsam, irgendein Hausbesorger würde schon herauskommen, tröstete ich
mich. Jemand, der es nicht so eilig hatte wie wir . .. Meine Frau, die nichts be^
merkt hatte, fragte mich etwas verärgert, worauf ich denn eigentlich warte, um
die dritte Geschwindigkeit einzuschalten ... Der Wagen glitt weiter ... Hol's
der Kuckuck! ... Ich scheuchte die lächerliche Begebenheit weg wie eine Fliege.
Ich scheuchte sie weg, ohne sie zu verscheuchen. Immer wieder fiel sie mir ein.
Nicht sehr eindringlich allerdings. Von dem Manne hatte ich nichts mehr gehört.
In der Zeitung stand nichts, und auch in unserer Gasse wurde nichts darüber ge^
redet. Keinerlei Nachforschungen. Der Betrunkene war wahrscheinlich von einem
Polizisten auf die Wachstube gebracht worden ... Worauf eines Tages — etwa
drei Wochen später — in einer Tageszeitung eine Kurzgeschichte von mir erschien,
die etwa so begann wie diese hier.
Am nächsten Morgen — um halb neun Uhr — wurde ich angerufen:
„Hier Polizeikommissariat Auteuil. Ist dort Herr X...?"
„Ja, der bin ich."
„Sind Sie es, der in der Abendzeitung von dem Unfall erzählte, den er am
13. Oktober vor seiner Haustür verursacht hat?"

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