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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 16.1936

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Heft 3
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Bogeng, Gustav A. E.: Fortsas Auktionskatalog
DOI Artikel:
Radecki, Sigismund von: "Es riecht nach Asien"
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0219

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Erlebnis einer Wirklichkeit bedeutet. Wie jeder andere Auktionskatalog, hatte
auch dieser Hoffnungsfreuden gespendet, ohne daß sie mit Gold oder schwerem
Verzichten zu bezahlen waren. Die Fata morgana des UnikatParadieses verschwand,
den Katalog der Vente Fortsas konnte man einbinden lassen. Die Konsequenz zogen
die Bibliophilen, sie ernannten ihn zu einer seltenen Originaledition. Die von ihm
bewährte Kunst, aus einem Nichts ein Buch zu machen, hatten seine Neudrucke
nicht mehr nötig.
„ES RIECHT NACH ASIEN"
Von
SIGISMUND V. RADECKI
enn alle Beschreibungen von Paris zu Rate gezogen, alle Fotographiealben
durchgeblättert sind, dann bleibt immer noch ein Etwas, ein Wichtigstes,

das nur jener erfährt, der seinen Fuß auf die Plattform des Gare du Nord setzt:
der besondere Geruch von Paris. Genau so wie die Wohnung meiner Tante Jettchen
ein höchst eigenes Parfüm von Lakritze und Nähkörbchen besaß, hat auch jede
alte Stadt, wo die Menschen jahrhundertelang dasselbe gegessen, gelebt und ge^
dacht, ihren spezifischen Duft und Dunstkreis.
Der Duft von Paris! — er ist schwer zu beschreiben; die Nase wittert ihn am
reinsten an einem nebligen Vormittag, wenn das bekannte Minimum d'Irlande
der Wetterberichte fein zerstäubt aufs Quartier heruntertröpfelt, die diversen
„Herboriste" und „Epicier" zeitunglesend in der Tür stehen, die Glutbecken vor
den Cafes nachgeschüttet werden, und dieses ganze Bukett dank ein paar Rauche
kringeln von MarylandZigaretten nun zu Fülle und Vollendung erwächst. Er ist
muffig wie Plüsch und wurmstichiges Holz, dieser Duft, er schwebt durch die
Lokale und Treppenhäuser, er nistelt in Kramläden und Alkovenbetten, kein
Neubau, keine Benzinpumpstation ist vor ihm sicher, — mutig und muffig dringt
er über die Fortifikations hinaus, klettert tollkühn per Lift auf die höchste Eiffeb
turmspitze und kennt nur einen Feind: den schweren, beizenden Katakomben
geruch der Metro, welcher ihn aus den Tunnels schmählich in die Flucht schlägt.
Er ist die animalische Witterung von Lutetia Parisiorum. Mit jedem Atemzug ein>
geatmet, ist er das größte, das immerwährende Erlebnis von Paris. Und das nicht
nur für meinen Foxterrier, sondern für jede empfindende Nase — diesen Rauche
fang der Erinnerung! Dieses fleischerne Teleskop in die Vergangenheit!
Warum beschränkt sich die Parfümindustrie ausschließlich auf die Erotik?
Warum wirft Herr Coty nicht zum Beispiel ein Parfüm „Schweden" auf den
Markt? Denn kein Sachverständiger wird doch bestreiten, daß ganz Schweden,
wie es da steht, inklusive Lackmöbeln, Kapitänsmützen und Flaggenstangen, einen
speziellen Duft besitzt, ohne dessen Witterung keiner je erfahren kann, was es mit
diesem Lande eigentlich auf sich hat. Ein Parfüm, das man geschlossenen Auges

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