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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 16.1936

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Heft 4
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Ihering, Herbert: Das Berliner Staatsschauspiel
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0332

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DAS BERLINER STAATSSCHAUSPIEL
Von
HERBERT JHERING
Als das Staatliche Schauspielhaus unter der Leitung von Gustaf Gründgens einen Winter ge>
spielt hatte, konnte es auf Grund seiner Erfolge ein zweites Haus hinzunehmen: das Deutsche
Künstlertheater in der Nürnberger Straße, das nunmehr als Kleines Haus neben der großen Bühne
am Gendarmenmarkt geführt wurde. Selten in der Geschichte des deutschen Theaters hat eine
künstlerische Leistung so schnell ihre materielle Auswirkung gefunden. Das Engagement hervor^
ragender Darsteller, der wechselnde Spielplan, der alle Gattungen des Theaters berücksichtigte,
die Initiative und schnelle Entschlossenheit der Führung — alles wurde sofort vom Publikum erkannt
und bestätigt.
Es mochte zuerst Befremden erregen, daß die Intendanz viele „Namen" verpflichtete, weil die
Gefahr nahe lag, daß mit den großen „Kanonen" auch die Methoden des Startheaters wiederkehren
würden. Aber alle Schauspieler, die in den früheren Jahren mit ihren Erfolgen das Theater dikta^
torisch beherrscht und Ensemblebildungen gesprengt hatten, ordneten sich jetzt künstlerisch ein.
Ein konservativ erhaltendes und ein aktivistisch vorwärtsdrängendes Element begann gleichzeitig,
die preußischen Staatsbühnen zu beherrschen. Ein erhaltendes Element: die bedeutenden Scham
spieler, deren Ruhm das deutsche Theater erfüllt hatte, Schauspieler, die sich auf der Höhe ihrer
Wirkung für fertig und ihre Entwicklung für abgeschlossen hielten, wurden hier „aufbewahrt", in
ihren wichtigsten Rollen erhalten und als Beispiel für kommende Generationen hingestellt. Sie sollten
nicht in die hastige Vergänglichkeit hinein gespielt haben, ihren Rollen sollte Dauer verliehen werden,
sie selbst sich mit neuen Aufgaben immer wieder bewähren und verjüngen. So wurden Werner Krauß,
Emil Jannings, Eugen Klöpfer, Friedrich Kayßler und Paul Hartmann engagiert, damit im Berliner
Theaterleben gegründet und langsam entwickelt würde, was ihm gefehlt hatte: Tradition.
Aber Gustaf Gründgens wußte nur zu gut, daß Tradition nichts Akademisches oder Museales
ist. Also genügte es nicht, daß die „Stars" einfach in die Vorstellungen eingestellt würden oder mit
alten und neuen Rollen als erhabene Gäste einkehrten, sondern sie mußten in den Arbeitsprozeß
des Staatstheaters wie jeder andere Darsteller eingeschaltet werden und sich der Führung und Regie
unterordnen. So konnte das Theater die großen „Brocken" verdauen. Es gab keine Fremdkörper,
sondern nur belebende Gegensätze, bunte Farbigkeit des Zusammenspiels, Laune, Spielfreude,
Phantasie. Es wird immer das Geheimnis der guten Theaterführung bleiben, wie sie Ehrgeiz und
Nacheiferung zu wecken versteht. Die Erfolge der Großen dürfen die Leistungen der Mittleren
nicht niederdrücken und auch die geringste Rolle muß dem Schauspieler verlockend gemacht werden.
Gustaf Gründgens verstand es, ein Riesenensemble mit Schauspielern, die sich zum Teil im Rollens
fach und auch in der individuellen Art berührten, spielfreudig zu halten und die im Theater unver^
meidlichen Konflikte noch zu einer Leistungssteigerung zu benutzen. Er zog aus der Tradition noch
aktivierende Kräfte, indem er die Meister von den Jüngeren und die Jüngeren von den Meistern
Anregung und Auftrieb holen ließ. Er gewann aus dem „Konkurrenzkampf" großer Komödianten
noch ausgleichende und antreibende Möglichkeiten.
In jeder Aufführung der Staatsbühnen überträgt sich sofort die erregende und spannende Atmo^
sphäre, das unverwechselbare Fluidum des Theaters. Unabhängig von der Qualität ist zu spüren:
Theater, Verwandlung, Spiel. Man geht in das Staatstheater und dann erst zu einer besonderen
Aufführung. Das Theater als solches ist wieder ins Gespräch gekommen. Das Grau der Spielpläne ist
durchbrochen. So entstand die heute schon international berühmt gewordene Vorstellung des
„Glas Wasser". Hier waren alle Elemente der Bühnenwirkung: Ton, Gebärde, Musik, Farben,
Raum, Licht in den Dienst des Stückes gestellt, das unter der Regie Jürgen Fehlings zu einem fast
tänzerischen politischen Intrigenspiel aufgelockert wurde.
Diese Vorstellung durchbrach die Eiszone, die sich um das Staatstheater gelegt hatte. Jetzt war
es eine Bühne geworden, auf der man sich auch wieder die große Tragödie ansah: „König Lear",
„Faust", „Die Hermannschlacht" und „Hamlet" mit seinen tagelang vorher ausverkauften Häusern.
Gründgens fand den Ausgleich zwischen allen Möglichkeiten des Theaters. Er wußte, daß die beste
Vorstellung nichts nützt, wenn sie nicht durch einen wechselnden Spielplan ergänzt wird. Zwischen

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