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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 16.1936

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Heft 5
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Stendel, Wolfgang: Das Handtäschchen
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0386

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DAS HANDTÄSCHCHEN
Von
WOLFGANG STENDEL
Das Handtäschchen einer jungen Dame ist ein Waffenlager der Kosmetik,
ein Tresor der Erinnerungen und Hort und Inbegriff aller geheimen Wünsche
und Sehnsüchte, der angegebenen und der vielleicht kommenden. Erst wenn
die Hoffnungen und Träume eingesunken, verrunzelt oder ausgereift sind,
erst dann wird das Täschchen der Behälter einiger Unentbehrlichkeiten, wird
Handtasche. Die Exemplare der Gattung, die bei der Inventur von Fund*
büros zur Versteigerung kommen, sind Handtaschen. Denn ehe ein Hand*
täschchen verlorengeht, müssen schon fürchterliche Dinge geschehen.
Der Unterschied zwischen Handtasche und Handtäschchen ist nicht ein
Unterschied der Größe oder Machart, sondern ein Unterschied an Gemüts^
wert. Dieser Gemütswert steht im umgekehrten Verhältnis zum Lebensalter der
Besitzerin. Ein junges Mädchen steht nicht an, auch eine Lastträgertasche, die
an breiten Kernlederriemen über der Schulter hängt und verschnallt wird wie ein
Überseekoffer, ihr Täschchen zu nennen. Die Zärtlichkeitsform gilt dem Inhalt,
denn ein Täschchen ist kein Gebrauchsgegenstand, der mitgeführt wird wie eine
Aktentasche, kein Behältnis für Nützlichkeiten, sondern ist die Bundeslade der
Träume und Sehnsüchte, ist Heiligtum.
Das Handtäschchen unserer Vorstellungen hat eine Geschichte von einem
halben Jahrtausend. Um 1400 trugen die Frauen Nadelkissen, Messerchen und

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