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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 16.1936

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Heft 1
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Drews, Wolfgang: Film-Querschnitt
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0066

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Film-Querschnitt
Von
Wolfgang Drews
Es gibt grundlegende Begriffe: Filmkunst und Theaterkunst sollen nichts miteinander zu
schaffen haben; der Tonfilm ist die akustische Fortsetzung des stummen Filmes.
Es gibt grundlegende Irrtümer: der echte Film hat sich, ob er das Spiel der sprachelosen Schatten
oder ein tönendes Schwarzweiß ist, immer von der Kunst der Bühne hergeleitet; der Tonfilm hat
seine eigenen Gesetze, die zu erkennen und zu beschreiben sind.
Die Produzenten leiden unter ihren eigenen Zwangsvorstellungen. Sie sind Literaten der Leim
wand, ihr Atelier ist eine Destillierbude geworden, in der nach überkommenen, von den Mächtigen
eifersüchtig gehüteten und geehrten Formeln gearbeitet wird.
Die Filmkunst ist in rund zwei Jahrzehnten geschaffen worden, der Tonfilm ist in wenigen Jahren
schnell gewachsen. Zuerst wollte man uns glauben machen, er sei ein Kind seines unerhört starken,
unerhört wirkenden Vorgängers, und er war doch nur ein Stiefkind aus der Retorte, ein Hornung
kulus, der mit falschen Maßen gemessen, mit fremden Stoffen bekleidet wurde.
Die großen künstlerischen Erfolge der letzten Monate, die neue Männer mit neuen Mitteln
errangen, zeigen den Weg. Der erprobte Filmregisseur hat seine erprobten Rezepte. Das erste war
die sensationelle, aufgemachte, von einem krassen Effekt zum anderen torkelnde Handlung — sie
war so dumm, daß sie schon nach hundert Metern zu langweilen begann. Das zweite war der leb^
hafte Schnitt, die kühne Überblendung, die mit läppischer Unlogik eine äußere Bewegtheit von
täuschte. Der Bildsymbolismus, der Photographierspieler, die Schemafigur — der ganze Spuk einer
Gattung, die das Kunsthandwerk durch die Technik ersetzte, die den Geist vom Bilde verdrängen
ließ, den Sinn durch die Sensation.
Der stumme Film hat hohe und ernste Kunstwerke hervorgebracht. Die Afterkunst, die Ven
bindung von Unnatur und Unverstand, erschien erst klar und deutlich, als der Tonfilm nach seinem
Bilde geformt werden sollte.
Der gute Schauspieler, der gute Regisseur und zumeist auch der gute Autor des Filmes kommen
aus der Schule des Theaters. Sie werden niemals die eine Kunst mit der anderen verwechseln, aber
sie werden beide verbinden, aus der alten die junge ableiten und am Beispiel der Jahrhunderte die
Arbeit des Jahres schaffen. Wie falsch das Gerede vom photographierten Theater ist, zeigte Erich
Engel, als er Bernard Shaws Komödie „Pygmalion" drehte — mit Shaws Dialogen, mit Shaws Szenen#
führung und ohne die Satire in das Behagliche umzubiegen, ohne den Gehalt durch eine aufregende
Handlung zu ersetzen. Die Idee, Eliza Doolittles Erziehung durch einen modernen Sprechunterricht
mit technischen Hilfsmitteln wiederzugeben, steht auf Shaws witzigem Niveau und ist darum keine
Verfälschung, ist eine Ergänzung der Komödie für den Film. Die unvoreingenommenen Amerikaner,
durch ihr Schicksal zum voraussetzungslosen Charakter erzogen, haben schon lange den dramatischen
Dialog für den Tonfilm benutzt. „Ein Herz ist zu verschenken", „Es geschah in einer Nacht" —
in diesen furchtlos selbstironischen Spielen unterhalten Clark Gable, Joan Crawford, Claudette Colbert
sich unentwegt, und selbst der Zuschauer, der wenig von dem Dialog versteht oder übersetzt bekommt,
fühlt, daß das Theater stärker ist als der Film, daß der Geist der Bühne den Film emporreißt.
Unheilvolle Folgen hat die fixe Idee vomßlmischen Tempo. Sobald der Film sich als Photographien
objekt von der Zustandsschilderung herleitet, Atmosphäre aufbaut und Lebenskreise entwickelt,
wird die epische Form ihn bestimmen. Engels Film mit Rudolf Forster „Nur ein Komödiant", der
im Grunde an dem deutlichen und naiven Drehbuch scheiterte, hat mächtig an der Zwangsvorstellung
vom Tempo gerüttelt. Aber das überzeugende Beispiel brachte Willy Forsts „Mazurka". Ein Zeitungs#
bericht von der Tat einer betrogenen Frau, einer angstvollen Mutter, eine Geschichte, wie sie das
Leben erfindet. Forst schrieb die mit starken Spannungen arbeitende Story in den gelassenen Stil
um. Er malt breit, er entwickelt, er führt aus, Szene für Szene. Wenn in der Arbeit „Einer zuviel
an Bord" der kriminelle Tatbestand mit der Vorgeschichte, der Entlarvung und der Sühnehandlung
noch raffiniert, nach der alten Methode des lebhaften Schnittes gemixt wurde, so läßt Forst jeden
Teil langsam entstehen und zu Ende laufen, aus dem einen das andere folgen. Dort retardiert die

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