Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt
— 16.1936
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0828
DOI Heft:
Heft 10
DOI Artikel:Seligo, Irene: Those funny germans
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0828
THOSE FUNNY GERMANS
Von
IRENE SELIGO
Wir lauschten der Eröffnung der Olympiade in England auf dem Lande;
und weil einige einheimische Freunde zugegen waren, stellten wir
nicht den deutschen Hörbericht, sondern den aus Daventry ein. Uns
Hörern, Deutschen wie Engländern, war gleich vom ersten Erklingen der
olympischen Fanfaren einigermaßen erregt und feierlich zumute gewesen.
Es dauerte eine ganze Weile, bis uns zum Bewußtsein kam, daß die Rede-
weise des englischen Sprechers, seine halb naive, halb witzelnde, jeden-
falls streng im Alltagston gehaltene Schilderung einer ihm anscheinend
weder in ihrem Mechanismus noch in ihrer Bedeutung ganz deutlichen Ze-
remonie nicht recht in unsere Stimmung paßte. Die Engländer selber be-
schwerten sich über die reichlich saloppe Note des Berichts und wohl nicht
nur aus Rücksicht auf unsere Gefühle; sie genierten sich offenbar ein wenig
und erklärten uns entschuldigend, es handele sich hier doch um einen
Bericht, dem Millionen einfacher Hörer lauschen würden, und für diese
kleinen Leute, Durchschnittsengländer, sei die leichte und rein realistische
Tonart berechnet.
Wir stellten einen Augenblick während der Eröffnungsrede („Ich weiß
nicht, worüber der Mann so lange redet, aber Ihr solltet sehen, was sie
alle für ernste Gesichter machen — komische Leute!" sagte der Kommen-
tator, der zu allem übrigen offenbar kein Wort Deutsch verstand) die
deutsche Übertragung ein, deren Sprecher in Stimme und Ausdruck die
erhobene Stimmung verriet, die uns der Gelegenheit angemessen schien.
Aber die anwesenden Engländer, die dabei nur den Ton, nicht die Worte
verstanden, begannen nun zu lächeln. „Wenn bei uns der Radiosprecher
eine so feierliche Stimme hätte", erklärten sie uns, „dann würde der nor-
male Hörer sofort etwas anderes einstellen. Es brächte ihn höchstens zum
Lachen. Wir finden es komisch, so seriös zu sein." Auf eine Gegenfrage
wurde jedoch zugegeben, es sei eben ein englischer Fehler, die Sitten und
Lebensäußerungen anderer Völker, das Unenglische schlechthin, immer ein
wenig lächerlich finden zu müssen. Und da wir über den unverhüllten
und naiven Stolz lachen mußten, mit dem unsere Freunde dieses Geständ-
nis nationaler Überheblichkeit herausbrachten — denn auf nichts ist der
Engländer so blindlings eingebildet, wie auf seine sagenhafte Fähigkeit zur
„Selbstkritik" —, war im gegenseitigen Belächeln das Einverständnis
wieder hergestellt.
Das Lächeln der Engländer, wenn es auch nicht selten einer hochmütigen
Unwissenheit entspringt, ist nicht leicht übelzunehmen: es ist milde, harm-
los und ansteckend, es entbehrt der Bitterkeit und kränkenden Absicht.
Diese insulare Abgeklärtheit und ein beinahe kindliches Vergnügen am
Bizarren — beides in des jungen Dickens „Pickwickiern" vielleicht am
600
Von
IRENE SELIGO
Wir lauschten der Eröffnung der Olympiade in England auf dem Lande;
und weil einige einheimische Freunde zugegen waren, stellten wir
nicht den deutschen Hörbericht, sondern den aus Daventry ein. Uns
Hörern, Deutschen wie Engländern, war gleich vom ersten Erklingen der
olympischen Fanfaren einigermaßen erregt und feierlich zumute gewesen.
Es dauerte eine ganze Weile, bis uns zum Bewußtsein kam, daß die Rede-
weise des englischen Sprechers, seine halb naive, halb witzelnde, jeden-
falls streng im Alltagston gehaltene Schilderung einer ihm anscheinend
weder in ihrem Mechanismus noch in ihrer Bedeutung ganz deutlichen Ze-
remonie nicht recht in unsere Stimmung paßte. Die Engländer selber be-
schwerten sich über die reichlich saloppe Note des Berichts und wohl nicht
nur aus Rücksicht auf unsere Gefühle; sie genierten sich offenbar ein wenig
und erklärten uns entschuldigend, es handele sich hier doch um einen
Bericht, dem Millionen einfacher Hörer lauschen würden, und für diese
kleinen Leute, Durchschnittsengländer, sei die leichte und rein realistische
Tonart berechnet.
Wir stellten einen Augenblick während der Eröffnungsrede („Ich weiß
nicht, worüber der Mann so lange redet, aber Ihr solltet sehen, was sie
alle für ernste Gesichter machen — komische Leute!" sagte der Kommen-
tator, der zu allem übrigen offenbar kein Wort Deutsch verstand) die
deutsche Übertragung ein, deren Sprecher in Stimme und Ausdruck die
erhobene Stimmung verriet, die uns der Gelegenheit angemessen schien.
Aber die anwesenden Engländer, die dabei nur den Ton, nicht die Worte
verstanden, begannen nun zu lächeln. „Wenn bei uns der Radiosprecher
eine so feierliche Stimme hätte", erklärten sie uns, „dann würde der nor-
male Hörer sofort etwas anderes einstellen. Es brächte ihn höchstens zum
Lachen. Wir finden es komisch, so seriös zu sein." Auf eine Gegenfrage
wurde jedoch zugegeben, es sei eben ein englischer Fehler, die Sitten und
Lebensäußerungen anderer Völker, das Unenglische schlechthin, immer ein
wenig lächerlich finden zu müssen. Und da wir über den unverhüllten
und naiven Stolz lachen mußten, mit dem unsere Freunde dieses Geständ-
nis nationaler Überheblichkeit herausbrachten — denn auf nichts ist der
Engländer so blindlings eingebildet, wie auf seine sagenhafte Fähigkeit zur
„Selbstkritik" —, war im gegenseitigen Belächeln das Einverständnis
wieder hergestellt.
Das Lächeln der Engländer, wenn es auch nicht selten einer hochmütigen
Unwissenheit entspringt, ist nicht leicht übelzunehmen: es ist milde, harm-
los und ansteckend, es entbehrt der Bitterkeit und kränkenden Absicht.
Diese insulare Abgeklärtheit und ein beinahe kindliches Vergnügen am
Bizarren — beides in des jungen Dickens „Pickwickiern" vielleicht am
600