OLYMPISCHE KUNST
Von
EBERHARD SCHULZ
Tn nicht zu weiter Entfernung von dem Olympiastadion steht — unter dem
1 Funkturm — die Halle für „Olympische Kunst": ein gesammelter ästhetischer
Niederschlag dessen, was sich auf dem Sportfeld in Wirklichkeit ereignet.
Schwimmerinnen in der Sekunde des Tauchens, Rugbyspieler im Zusammenprall,
hastende Läufer, Athleten, muskelstark und massig, zerschlagene Boxer und Sieger.
Es sind Szenen des Sports, die abgebildet werden wie auch sonst menschliche
Szenen, die man darstellen kann. Das „Sportliche" dieser Kunst liegt im Inhalt.
Unwillkürlich denkt man daran, wie bei den Griechen zu ihrer Zeit alle Kunst,
gewiß aber die Plastik, „Sport"-Kunst gewesen ist. Die Nacktheit der Leiber,
ihr Gleichmaß und dann allmählich ihre anatomische Bewegtheit wurden aus dem
Brauch des Gymnasions in die Bildwerke überführt — kaum, daß dieser Über-
gang zwischen Kunst und Leben recht fühlbar war. Heute ist daraus ein Umweg
vom Atelier zur Freiheit der Bahnen und wieder zurück zu den Ateliers geworden.
Die Beziehungen zum Sport sind jung, ohne Tradition und oft auch ohne Meister-
schaft. Sie sind tatsächlich, auch da, wo der Fanatismus des Kampfes wieder-
gegeben werden soll, ästhetisch. Denn so etwas wie eine Sportkultur, die den
Künstler schon von innen beseelt, ist noch fern. Er muß sich auf das Sehen ver-
lassen.
Was sieht der Künstler?
Ein mit einem herabhängenden, einem angezogenen Bein lässig hockendes
Mädchen, scheinbar eben dem Bade entstiegen, in Badekappe und rotem Trikot,
noch von der Flüssigkeit des anderen Elements umgeben — Sport ist hier als
Grazie, mehr noch als Eleganz, beinahe modisches Zubehör des modernen Lebens
gesehen. Ein niedergeschlagener Boxer, der in einem flachen Gipsrelief liegt mit
müde auseinandergestreckten Händen und Beinen, dünngliedrig mit ausgespachtel-
ten Muskeln — die andere Seite, die Ermattung, die im Körperlichen überall
sichtbare Askese, die eine merkwürdige Leidenschaftlichkeit verrät. Die Italiener
haben grade dieses Moment bis ans äußerste vorgetrieben: ein emsiges, beinahe
zu einem menschlichen Fahrgestell umgewandeltes ruderndes Wesen, eine sich
hochreckende, grade den Erdboden verlassende nackte Gestalt, die schon nicht
mehr den Gesetzen der Anatomie, sondern denen einer noch nicht genau erforsch-
ten inneren Entrückung gehorcht. Dann Japan: der Schwimmer, der seinen Ober-
körper selbst wie einen schäumenden Wellenkopf aus dem Wasser erhebt (Bronze-
relief); oder Tschechoslowakei: der Skiläufer in der letzten, gleichsam luftleeren
Minute zwischen Niederlage oder Sieg, wo der nach vorn geworfene Oberkörper
den Lauf entweder hemmt oder weitertreibt.
Bewegung und Ruhe
Allen Figuren haftet die gleiche Bewegtheit an. Die Flamme des Temperaments
flackert auf, um gleich zu verlöschen. In der Verbissenheit, in einer letzten
wilden Gestik der Hände und Augen wird dann aber noch etwas anderes sicht-
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Von
EBERHARD SCHULZ
Tn nicht zu weiter Entfernung von dem Olympiastadion steht — unter dem
1 Funkturm — die Halle für „Olympische Kunst": ein gesammelter ästhetischer
Niederschlag dessen, was sich auf dem Sportfeld in Wirklichkeit ereignet.
Schwimmerinnen in der Sekunde des Tauchens, Rugbyspieler im Zusammenprall,
hastende Läufer, Athleten, muskelstark und massig, zerschlagene Boxer und Sieger.
Es sind Szenen des Sports, die abgebildet werden wie auch sonst menschliche
Szenen, die man darstellen kann. Das „Sportliche" dieser Kunst liegt im Inhalt.
Unwillkürlich denkt man daran, wie bei den Griechen zu ihrer Zeit alle Kunst,
gewiß aber die Plastik, „Sport"-Kunst gewesen ist. Die Nacktheit der Leiber,
ihr Gleichmaß und dann allmählich ihre anatomische Bewegtheit wurden aus dem
Brauch des Gymnasions in die Bildwerke überführt — kaum, daß dieser Über-
gang zwischen Kunst und Leben recht fühlbar war. Heute ist daraus ein Umweg
vom Atelier zur Freiheit der Bahnen und wieder zurück zu den Ateliers geworden.
Die Beziehungen zum Sport sind jung, ohne Tradition und oft auch ohne Meister-
schaft. Sie sind tatsächlich, auch da, wo der Fanatismus des Kampfes wieder-
gegeben werden soll, ästhetisch. Denn so etwas wie eine Sportkultur, die den
Künstler schon von innen beseelt, ist noch fern. Er muß sich auf das Sehen ver-
lassen.
Was sieht der Künstler?
Ein mit einem herabhängenden, einem angezogenen Bein lässig hockendes
Mädchen, scheinbar eben dem Bade entstiegen, in Badekappe und rotem Trikot,
noch von der Flüssigkeit des anderen Elements umgeben — Sport ist hier als
Grazie, mehr noch als Eleganz, beinahe modisches Zubehör des modernen Lebens
gesehen. Ein niedergeschlagener Boxer, der in einem flachen Gipsrelief liegt mit
müde auseinandergestreckten Händen und Beinen, dünngliedrig mit ausgespachtel-
ten Muskeln — die andere Seite, die Ermattung, die im Körperlichen überall
sichtbare Askese, die eine merkwürdige Leidenschaftlichkeit verrät. Die Italiener
haben grade dieses Moment bis ans äußerste vorgetrieben: ein emsiges, beinahe
zu einem menschlichen Fahrgestell umgewandeltes ruderndes Wesen, eine sich
hochreckende, grade den Erdboden verlassende nackte Gestalt, die schon nicht
mehr den Gesetzen der Anatomie, sondern denen einer noch nicht genau erforsch-
ten inneren Entrückung gehorcht. Dann Japan: der Schwimmer, der seinen Ober-
körper selbst wie einen schäumenden Wellenkopf aus dem Wasser erhebt (Bronze-
relief); oder Tschechoslowakei: der Skiläufer in der letzten, gleichsam luftleeren
Minute zwischen Niederlage oder Sieg, wo der nach vorn geworfene Oberkörper
den Lauf entweder hemmt oder weitertreibt.
Bewegung und Ruhe
Allen Figuren haftet die gleiche Bewegtheit an. Die Flamme des Temperaments
flackert auf, um gleich zu verlöschen. In der Verbissenheit, in einer letzten
wilden Gestik der Hände und Augen wird dann aber noch etwas anderes sicht-
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