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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 16.1936

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Heft 2
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Romanoff, Pantelemon: Der Meldebogen
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0124

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DER MELDEBOGEN

Von
PANTELEMON ROMANOFF
)ie fünfköpfige Familie saß bereits seit drei Stunden verzweifelt vor dem
auszufüllenden Zettel mit den üblichen Fragen: Alter, Zuständigkeit,
Beruf vor der Oktoberrevolution usw. ...
„So eine verfluchte Arbeit! Das soll doch der Teufel holen!" sagte der Vater
und wischte sich den Schweiß von seinem kurzen, dicken Hals. „Fünf schäbige
Zeilen und man schwitzt dabei, wie wenn man einen Lastwagen ziehen würde!"
„Wo haben wir gehalten?" fragte die Frau.
„Noch immer an derselben Stelle: ,Beruf des Vaters!' Ich habe vergessen,
was ich das letztemal geschrieben habe, das ist das Dumme."
„Vielleicht bemerken sie's nicht, wenn wir's auslassen ..."
„Nicht bemerken?! ... Du bist wohl nicht recht gescheit? ... Es ist doch
immer das gleiche Amt!"
„Hast du nicht ,Pope' geschrieben, Vater?"
„Nein, nein, ,Rechtsanwalt', ich erinnere mich genau!" mischte sich der
jüngste Sohn ins Gespräch.
„Ausgeschlossen! Überhaupt kümmere dich nicht um Dinge, die du nicht
verstehst! Und setz' dich anständig, du liegst ja schon ganz auf dem Tisch!"
„Was ist denn los, Väterchen, was tut ihr denn da?" fragte der Nachbar, der
eben ins Zimmer trat.
„Noch immer der verdammte Bogen!"
„Ihr macht viel zu viel Geschichten damit. Diese Sachen darf man nicht so
schwer nehmen!"
„Um schwer oder leicht nehmen handelt es sich hier nicht. Ich habe vergessen,
welchen ,Beruf des Vaters' ich das letztemal angegeben habe. Und nun zerbreche
ich mir schon stundenlang den Kopf und komme nicht darauf. Drei Bogen hab' ich
schon verpatzt. Und jedesmal muß ich mir einen neuen geben lassen. Der Teufel
kann einen holen!"
„Und auf diesen Punkt legen sie den größten Wert ..."
„Drei Stunden sitzen wir nun schon bei der Schreiberei. . . Auf einen Zettel
habe ich ,Pope' geschrieben, aber das stimmt mir nicht ganz. Das zweitemal habe
ich mich für ,Ehrenbürger' entschieden . .. Aber was ist das heutzutage noch für
eine Ehre?... Guter Gott! Wann wird man endlich einmal frei aufatmen
können!... Mein Großvater war Pope, wissen Sie, und mein Vater Landwirt...
allerdings nur ein kleiner ... und ich selbst bin von Adel ... Ehrenadel ..."
„Erbadel wollen Sie wohl sagen?"
„Schön, Erbadel. Aber was soll ich in die Rubrik ,Herkunft' eintragen?"
„Das eignet sich alles nicht", sagte finster der Nachbar, beugte sich über den
Tisch und warf einen Blick in die Zettel:
„Aber hier auf diesem Bogen haben Sie ja geschrieben: ,Sohn einer Hauss
besorgerin und eines Anstreichers'...?"

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