Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt
— 16.1936
Zitieren dieser Seite
Bitte zitieren Sie diese Seite, indem Sie folgende Adresse (URL)/folgende DOI benutzen:
https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0271
DOI Heft:
Heft 4
DOI Artikel:Fischer, Rudolf: Berlin hört und sieht...
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0271
Kremserfahrt
Friedrich Wincklern Tannenberg
BERLIN HÖRT UND SIEHT...
Von
RUDOLF FISCHER
Stendhal meint, den müsse der Teufel geritten haben, der sich darauf ver^
steifte, in die Sandwüste, in der Berlin stände, eine Stadt zu bauen. Der
Teufel war es nicht, aber preußische Könige. Paris ist Salon, Retorte und Symbol
Frankreichs, London ist ein naturhafter Bestandteil der englischen Geschichte,
solange es sie gibt und wahrscheinlich noch früher, Berlin ist Deutschlands Büro.
Hier gibt es keine Erde, die verlockt hat, keine Natur, die auf den ersten Blick
verführt, keine Atmosphäre, die Saugwirkung übt und jedem „Arrive" ein Teil
der Last abnimmt, die er an sich selber zu tragen hat. Bis auf den heutigen Tag
ist dieser Stadt ein absoluter Zug geblieben, man spürt heute noch, daß es vorerst
und vor allem Willens^, das heißt, Menschenwerk ist. Deswegen ist es von allen
Weltstädten die unkonservativste.
In Berlin wird stets noch verbessert, nichts ist endgültig, alles ist noch Zukunft.
Es hatte in seinen breiten, an die Kolonisationsstädte erinnernden Anlagen Platz
genug, daß in breiten Kolonnen eine neue Zeit einmarschieren konnte, welche die
Geräumigkeit, das Licht, das Grün liebt und am Leibe wieder ihre Freude hat.
Es konnte sich dehnen, ohne Unersetzliches zu sprengen. Denn es ist durchaus
nicht geschichtslos. Es hat Raum genug für einen neuen Willen zur Geschichte
und seinen monumentalen Ausdruck. Die ungeheuren Evolutionen der Massen^
stadt werden hier ihren Ausdruck finden, der reiner als irgendwo anders einem
neuen Zeitalter durch eine Stadt das gültige Gesicht geben wird. Von der weiten,
durch die Kolonisation geprägten Anlage über den großartig nüchternen Stih
willen Preußens bis zu dem gegenwärtigen Bauwillen ist ein weiter Weg. Aber das
Gesetz, nach dem diese Stadt angetreten ist, wird nicht verwischt werden. Nie
wird sie sich behaglich selbst genießen, stets wird auch der Fremdling und das
1*
195