Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt
— 16.1936
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0205
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Heft 3
DOI article:Lüdecke, Heinz: "Leda mit der Gans und ohne Kopf"
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„LEDA MIT DER GANS UND OHNE KOPF"
Von
HEINZ LUEDECKE
Kaiser Rudolf II., eine der merkwürdigsten Gestalten des an Merkwürdigkeiten
überreichen Hauses Habsburg, war ein Sammler par excellence. Ein begnadeter,
aber auch unstillbar besessener Raffer von herrlichen und kunterbunten Schätzen.
Prag, seine Residenz, konnte um 1600 mit Fug „die Kunstkammer Europas" heißen.
Aber nicht minder „das Kuriositäten^ und Abnormitätenkabinett" einer gärenden
und drängenden Epoche, die sich, noch ein wenig spielerisch, in den funkelnageb
neuen Realwissenschaften versuchte. Unmittelbar neben den größten Meistere
werken der italienischen Malerei verzeichnet ein altes Inventar dieses kaiserlichen
Kulturstapelplatzes „allerlei Meerfische, darunter eine Fledermaus, eine Schachtel
mit vier Donnersteinen, zwei Schachteln mit Magnetsteinen und zwei eisernen
Nägeln, sollen von der Arche Noah sein, ein Stein, der da wächst, vom Herrn von
Rosenberg, ein Krokodil mit einem Futteral, ein Monstrum mit zwei Köpfen..."
Genau so monstrehaft wie ihre Anlage gewesen war, sollte das Ende dieser
gigantischen und regellosen Sammlung werden. Als die Soldaten Friedrichs des
Großen anderthalb Jahrhunderte später gegen Prag vorrückten, schleppten eilige
Hände unter dem Donner der preußischen Kanonen alles, was von Rudolfs be^
rühmter „Kunstkammer" noch übrig war, in die Felsengewölbe der Burg. Der
Krieg verging, der Friede kam, man hatte wichtigere Sorgen und vergaß das kost<
bare Kellergerümpel, um es erst 1781 neu zu entdecken. Tausende von unver^
gleichlichen Gemälden, Plastiken, Edelsteinen, Büchern und Urkunden nebst den
ausgestopften Krokodilen wurden damals für ein paar hundert Kronen öffentlich
versteigert. So gelangte eine der schönsten antiken Statuen, die „Ilioneusstatue",
die heute ein Schmuckstück der Glyptothek in München ist, für yi Kreuzer zum
Verkauf. Und so, für ein halbes Butterbrot, schlug man auch ein Ölbild los, von
dem die Liste des Auktionators sagte, es sei „ein nacktes Weibsbild, von einer bösen
Gans gebissen".
Dieses „Weibsbild" war nicht Antonio Allegri da Correggios Gemälde „Leda
mit dem Schwan". Sondern nur eine — wenn auch sehr gute — Kopie nach der
richtigen „Leda", die allerdings dereinst zu Rudolfs Schätzen gehört hatte. Und
die wechselvollen Abenteuer des Originals sind noch viel absurder und roman^
tischer als die der so verkannten Kopie.
Correggio, den wir als einen der größten und liebenswürdigsten Künstler der
italienischen Renaissance bewundern, schuf dieses Gemälde im Auftrage eines
Herzogs von Mantua, der es Kaiser Karl V. schenkte. Karl nahm die schöne „Leda"
mit nach Spanien, als er sich von der schnöden Welt in die fast mönchische Ver^
sunkenheit seiner letzten Jahre zurückzog. Und nach seinem Tode erbte Philipp II.
das meisterhafte Konterfei jener schwanbetörten Olympierin, die als Mutter der
Helena der eigentliche Urgrund des Trojanischen Krieges und damit vieler
schwerer Stunden unserer Schulzeit gewesen ist.
Dann kaufte Kaiser Rudolf das Bild für seine Prager „Kunstkammer", deren
jämmerliches Ende Frau Leda nicht mitzuerleben brauchte, weil die schwedischen
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Von
HEINZ LUEDECKE
Kaiser Rudolf II., eine der merkwürdigsten Gestalten des an Merkwürdigkeiten
überreichen Hauses Habsburg, war ein Sammler par excellence. Ein begnadeter,
aber auch unstillbar besessener Raffer von herrlichen und kunterbunten Schätzen.
Prag, seine Residenz, konnte um 1600 mit Fug „die Kunstkammer Europas" heißen.
Aber nicht minder „das Kuriositäten^ und Abnormitätenkabinett" einer gärenden
und drängenden Epoche, die sich, noch ein wenig spielerisch, in den funkelnageb
neuen Realwissenschaften versuchte. Unmittelbar neben den größten Meistere
werken der italienischen Malerei verzeichnet ein altes Inventar dieses kaiserlichen
Kulturstapelplatzes „allerlei Meerfische, darunter eine Fledermaus, eine Schachtel
mit vier Donnersteinen, zwei Schachteln mit Magnetsteinen und zwei eisernen
Nägeln, sollen von der Arche Noah sein, ein Stein, der da wächst, vom Herrn von
Rosenberg, ein Krokodil mit einem Futteral, ein Monstrum mit zwei Köpfen..."
Genau so monstrehaft wie ihre Anlage gewesen war, sollte das Ende dieser
gigantischen und regellosen Sammlung werden. Als die Soldaten Friedrichs des
Großen anderthalb Jahrhunderte später gegen Prag vorrückten, schleppten eilige
Hände unter dem Donner der preußischen Kanonen alles, was von Rudolfs be^
rühmter „Kunstkammer" noch übrig war, in die Felsengewölbe der Burg. Der
Krieg verging, der Friede kam, man hatte wichtigere Sorgen und vergaß das kost<
bare Kellergerümpel, um es erst 1781 neu zu entdecken. Tausende von unver^
gleichlichen Gemälden, Plastiken, Edelsteinen, Büchern und Urkunden nebst den
ausgestopften Krokodilen wurden damals für ein paar hundert Kronen öffentlich
versteigert. So gelangte eine der schönsten antiken Statuen, die „Ilioneusstatue",
die heute ein Schmuckstück der Glyptothek in München ist, für yi Kreuzer zum
Verkauf. Und so, für ein halbes Butterbrot, schlug man auch ein Ölbild los, von
dem die Liste des Auktionators sagte, es sei „ein nacktes Weibsbild, von einer bösen
Gans gebissen".
Dieses „Weibsbild" war nicht Antonio Allegri da Correggios Gemälde „Leda
mit dem Schwan". Sondern nur eine — wenn auch sehr gute — Kopie nach der
richtigen „Leda", die allerdings dereinst zu Rudolfs Schätzen gehört hatte. Und
die wechselvollen Abenteuer des Originals sind noch viel absurder und roman^
tischer als die der so verkannten Kopie.
Correggio, den wir als einen der größten und liebenswürdigsten Künstler der
italienischen Renaissance bewundern, schuf dieses Gemälde im Auftrage eines
Herzogs von Mantua, der es Kaiser Karl V. schenkte. Karl nahm die schöne „Leda"
mit nach Spanien, als er sich von der schnöden Welt in die fast mönchische Ver^
sunkenheit seiner letzten Jahre zurückzog. Und nach seinem Tode erbte Philipp II.
das meisterhafte Konterfei jener schwanbetörten Olympierin, die als Mutter der
Helena der eigentliche Urgrund des Trojanischen Krieges und damit vieler
schwerer Stunden unserer Schulzeit gewesen ist.
Dann kaufte Kaiser Rudolf das Bild für seine Prager „Kunstkammer", deren
jämmerliches Ende Frau Leda nicht mitzuerleben brauchte, weil die schwedischen
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