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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 16.1936

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Heft 5
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Seligo, Irene: Das Girl
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0359

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Vilhelm Busch

DAS GIRL

Von
IRENE SELIGO

Sie ist wohl der bekannteste Mädchentyp der Welt. Jeder kennt sie, zum min^
desten vom Hörensagen, aus Romanen, Bildern, Filmen, von der großstädti^
sehen Varietebühne oder vom sportlichen Wettkampf her; denn sie ist ja nicht
einfach das junge Mädchen ihres Volkes, sie ist die Engländerin an sich, ein so
wesentlich repräsentatives Züchte und Ausfuhrprodukt ihres Landes, wie Renn^
pferde und Rassehunde.
Mit Pferd und Hund edler Zucht stellt denn auch der Maler das Girl am
passendsten dar — einen langbeinigen, schmalhüftigen, frischfarbenen, beweglichen
Freilufttyp, jungfräulich und unbefangen, als Modell zur Diana oder Amazone
weit eher geeignet, als zur Venus oder zur Madonna. Frauen anderer Länder
mögen als Mutter oder als klug^elegante Weltdame, jedenfalls erst im Besitz einer
wissenden Reife, den Augenblick erreichen, in dem sie das Frauenideal ihres
Volkes am meisten verkörpern; die Engländerin hat ihren Höhepunkt gleich zu
Anfang ihrer Frauenlaufbahn. Sie erinnert dabei an gewisse, leicht überzüchtete
Rosenarten, die als halbgeschlossene Knospen am schönsten sind und sich niemals
voll und rund öffnen, ehe sie welken. Bleibt sie doch, besonders in den oberen
Klassen, „Girl" sehr oft noch lange nach ihrer Verheiratung, ja, als Mutter der
ein oder zwei Kinder dieser Kreise, noch Mitte und Ende dreißig wird sie körpere
lieh so wenig verändert scheinen, daß man ihr den Mädchentitel noch immer
gibt; dann freilich werden sich durch die schlaffer werdende Muskulatur, die
nachgebende Haut ihre Knochen durcharbeiten zur verräterischen Magerkeit

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