Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt
— 16.1936
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Heft 5
DOI Artikel:Wie soll der Mann sein?: Briefe junger Mädchen
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Fedor Rojankowski
WIE SOLL DER MANN SEIN?
Briefe junger Mädchen
Es ist nicht ungefährlich, sich auszudenken, wie man sich „den Mann" wünscht. Es gilt auch
hier: „Du sollst Dir kein Bildnis, noch irgend ein Gleichnis machen . . ." (Womit ich nicht
gesagt haben will, daß der Mann ein Gott ist). Aber wenn man sich erst ein Ideal konstruiert hat,
sucht man auch den Menschen, der ihm möglichst gleicht. Und das ist doch eine unsichere Sache,
da uns leider die Fähigkeit der Männer fehlt, einem Menschen alle möglichen Eigenschaften an^
zudichten und diese Illusion oft ein ganzes Leben lang aufrecht zu halten.
Der erste und einzige Punkt meines „Wunschzettels" ist: Er soll mir ein gleiches Maß an Ver#
ständnis entgegenbringen, wie er es von mir fordert, und meine Ansichten und Angelegenheiten
so ernst nehmen wie seine eigenen. Aber welcher Mann will schon eine Frau die „Ansichten" hat
und ernst genommen werden will? Also . . . siehe: Du sollst dir kein Gleichnis ... I. B.
Wie ein Mann sein sollte? Wann habe ich je ernstlich darüber nachgedacht? Ich sehe mich vier^
zehneinhalbjährig am Schreibpult sitzen, und ein Berg, ein wahrer Alb von Schularbeiten
türmt sich vor mir auf. Es hat wirklich keinen Zweck, überhaupt erst anzufangen — man kann
ja einfach nicht damit fertig werden!
O doch, man kann schon! Man muß sich nur gleich dahinter setzen und fest sitzen bleiben,
dann hat man's bis gegen Abend geschafft. — Bis gegen Abend! Aber damit ist ja ein ganzer Nach'
mittag vorbei. Der Nachmittag eines Lebens, der Nachmittag einer Kindheit, ein unwiederbring^
licher Nachmittag!
Ich schiele nach meinen Karl May hinüber. — „Scharlih -", hat Winnetou gesagt. Er war so
unvergeßlich, wie er das sagte! Draußen ist Sommer. Die Fenster stehen offen und die Sonne wandert
über den blauen Himmel, über Bäume, über Wiesen, über Blumen und klares Wasser. Und meine
Feder sollte eigentlich über Papier wandern, aber ich träume lieber ins Blaue hinaus. -
Es sollte einmal Einer kommen mit dem Flugzeug, von weit her sollte er kommen und vielleicht
eine Narbe von einem Säbelhieb auf der Wange tragen, wie der alte Friebeuter in der „Schatzinsel".
Eines Morgens sollte er das Schulhaus betreten — nicht wenn es gerade klingelt, sondern frei und
ungebunden. Die Tür zum Klassenzimmer sollte er aufreißen und die Hefte und Bücher nehmen
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