und sie zum Fenster hinauswerfen — hei wie sie flattern! Und wir Kinder werden erfüllt von Mut,
es wird uns bewußt, wie sehr wir in der Überzahl sind. Unter seiner Leitung stürzen wir uns auf die
Lehrer und Lehrerinnen, fesseln sie und schleppen sie in die Aula. Aber sie werden nicht an den
Marterpfahl gebunden, nein, keineswegs, denn da wir nun glücklich sind, sind wir auch großmütig.
Sie werden höchstens ein bißchen in den Keller gesperrt, und der Mathematiklehrer muß einen
Strumpf stricken und die Handarbeitslehrerin muß einen Aufsatz über das Verhältnis des Mondes
zur Erde schreiben — damit sie sehen, daß sie auch nicht alles können! Aber dann wird ihnen Gnade
erwiesen, sie werden großmütig nach Hause geschickt. Und unsere Großmut wird ihnen viel weher
tun, als wenn wir sie mit roten Tintenfässern beworfen hätten!
Er aber, der aus weiter Ferne gekommen ist, er wird eine Zündschnur in Brand setzen und das
ganze Schulhaus, mit allem was darin ist, auch mit den schlechten Zeugnissen, fliegt in die Luft!
Und dort, wo einst das Schulhaus gestanden hat, wird nun — so stellte ich es mir vor — ein großer,
tiefer Krater sein. Der Krater wird sich allmählich mit Wasser füllen und zu einem See werden, in
dem glückliche Kinder baden und spielen.
Er aber wird ein Auto besteigen und durch die Stadt zum Flugplatz fahren, und seinen Weg
werden unübersehbare Reihen jubelnder, jauchzender Kinder säumen. Er wird mit seinem Flugzeug
auffliegen wie ein Adler, nach einer anderen Stadt, um andere Kinder zu befreien. -
Und der Nachmittag ist vorbei, die Schularbeiten sind wieder nicht gemacht, und ich habe mit
offenen Augen geträumt.
Trotzdem — ich bin dem Traum meiner Jugend treugeblieben! Er hatte einen Säbelhieb auf
der Wange, er kam aus weiter Ferne, und er war stark und gut. So sollte ein Mann sein.
Kadidja Wedekind
ie ich mir den Mann wünsche? Keinen sogenannten schönen Mann, der nur Tennis spielt, für
sein Leben gern tanzt — und sonst gar nichts.
Zusammengefaßt: Er muß Mensch sein. Unendliche Weiten trägt dieser Begriff in sich. Güte,
Verständnis, Wissen und Humor muß er haben. Und die Musik genau so sehr lieben wie ich. Beim
Nachdenken entdecke ich, daß ich eigentlich vollkommen unmodern und altmodisch denke.
Moderne Sachlichkeit, Kameradschaft, Handschlag — schön! Aber in Grenzen. Ritterlich muß
er sein und mich spüren lassen, daß er mich liebt. Aber es dürfte nicht nur vier Wochen lang sein.
„Liebe kann nicht bestehen, wenn man sie nicht zu erkennen gibt", sagt ein weiser Mann. Nun
meine ich aber nicht etwa so eine tragische Liebe eines Leander. Humor und Verständnis müßte
er für meine großen und kleinen Fehler haben. Nicht nur an allem etwas auszusetzen. Mit gönnen
haftem Ton: „Aber Kind..." Daß es, wenn wir z. B. eine Autofahrt machen, nichts als lauter
Ärgernisse gibt. Die alte Frau, die zu langsam und gerade jetzt über die Straße geht. Die Ampel, die
gerade jetzt, als wir hinüberwollen, rot wird. Wo wir es doch so eilig haben. (Es sollte eine Spaziere
fahrt sein!) Und der schönen Dinge mehr. Und ich bin beinahe vergessen wie eine alte B. Z.
O nein, mein Mann müßte ganz anders sein. Wenn er nach Hause kommt, müßte er sich vor
lauter Sehnsucht und Ungeduld im Lift in den Stockwerken verzählen und den Klingelzug demo>
lieren, obgleich er den Schlüssel in der Tasche hat. Den wollte ich lieben! Und wenn er mich genau
so lieb hat wie ich ihn, dann wird es eben so sein.
Sonst hole der Teufel das ganze angebetete Männervolk. Christine Garden
Blond oder schwarz? Meliert an den bewußten Schläfen? In gesicherter oder ungesicherter Position,
ob als Tyrann oder als Schoßhündchen, ob ob... Statt einer Antwort möchte ich lieber eine
Beobachtung wiedergeben, die ich nicht nur an mir, sondern auch in meinem Freundinnen^, Be#
kanntinnen und auch in meinem Kolleginnenkreis gemacht habe. Diese Beobachtung ist: Die junge
Frau und auch das Mädchen, das aus der Zeit des „Schmachtens" und der „Filmphotomappe"
heraus ist, suchen heute — so scheint mir — die Nähe eines Mannes, der eine Abkehr yon dem
ausgesprochen männlichen Temperament bedeutet. Das ausgesprochen und ausschließlich männliche
Temperament kennzeichnet sich ja nicht etwa durch Härte, Robustheit, Forsche und Gewalttätige
keit, sondern schon durch den Mangel an Sensibilität, Milde und tastendes Wesen, durch den Mangel
an Eigenschaften, die uns Frauen und Mädchen vielleicht selbst in einem gewissen Maße abhanden
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es wird uns bewußt, wie sehr wir in der Überzahl sind. Unter seiner Leitung stürzen wir uns auf die
Lehrer und Lehrerinnen, fesseln sie und schleppen sie in die Aula. Aber sie werden nicht an den
Marterpfahl gebunden, nein, keineswegs, denn da wir nun glücklich sind, sind wir auch großmütig.
Sie werden höchstens ein bißchen in den Keller gesperrt, und der Mathematiklehrer muß einen
Strumpf stricken und die Handarbeitslehrerin muß einen Aufsatz über das Verhältnis des Mondes
zur Erde schreiben — damit sie sehen, daß sie auch nicht alles können! Aber dann wird ihnen Gnade
erwiesen, sie werden großmütig nach Hause geschickt. Und unsere Großmut wird ihnen viel weher
tun, als wenn wir sie mit roten Tintenfässern beworfen hätten!
Er aber, der aus weiter Ferne gekommen ist, er wird eine Zündschnur in Brand setzen und das
ganze Schulhaus, mit allem was darin ist, auch mit den schlechten Zeugnissen, fliegt in die Luft!
Und dort, wo einst das Schulhaus gestanden hat, wird nun — so stellte ich es mir vor — ein großer,
tiefer Krater sein. Der Krater wird sich allmählich mit Wasser füllen und zu einem See werden, in
dem glückliche Kinder baden und spielen.
Er aber wird ein Auto besteigen und durch die Stadt zum Flugplatz fahren, und seinen Weg
werden unübersehbare Reihen jubelnder, jauchzender Kinder säumen. Er wird mit seinem Flugzeug
auffliegen wie ein Adler, nach einer anderen Stadt, um andere Kinder zu befreien. -
Und der Nachmittag ist vorbei, die Schularbeiten sind wieder nicht gemacht, und ich habe mit
offenen Augen geträumt.
Trotzdem — ich bin dem Traum meiner Jugend treugeblieben! Er hatte einen Säbelhieb auf
der Wange, er kam aus weiter Ferne, und er war stark und gut. So sollte ein Mann sein.
Kadidja Wedekind
ie ich mir den Mann wünsche? Keinen sogenannten schönen Mann, der nur Tennis spielt, für
sein Leben gern tanzt — und sonst gar nichts.
Zusammengefaßt: Er muß Mensch sein. Unendliche Weiten trägt dieser Begriff in sich. Güte,
Verständnis, Wissen und Humor muß er haben. Und die Musik genau so sehr lieben wie ich. Beim
Nachdenken entdecke ich, daß ich eigentlich vollkommen unmodern und altmodisch denke.
Moderne Sachlichkeit, Kameradschaft, Handschlag — schön! Aber in Grenzen. Ritterlich muß
er sein und mich spüren lassen, daß er mich liebt. Aber es dürfte nicht nur vier Wochen lang sein.
„Liebe kann nicht bestehen, wenn man sie nicht zu erkennen gibt", sagt ein weiser Mann. Nun
meine ich aber nicht etwa so eine tragische Liebe eines Leander. Humor und Verständnis müßte
er für meine großen und kleinen Fehler haben. Nicht nur an allem etwas auszusetzen. Mit gönnen
haftem Ton: „Aber Kind..." Daß es, wenn wir z. B. eine Autofahrt machen, nichts als lauter
Ärgernisse gibt. Die alte Frau, die zu langsam und gerade jetzt über die Straße geht. Die Ampel, die
gerade jetzt, als wir hinüberwollen, rot wird. Wo wir es doch so eilig haben. (Es sollte eine Spaziere
fahrt sein!) Und der schönen Dinge mehr. Und ich bin beinahe vergessen wie eine alte B. Z.
O nein, mein Mann müßte ganz anders sein. Wenn er nach Hause kommt, müßte er sich vor
lauter Sehnsucht und Ungeduld im Lift in den Stockwerken verzählen und den Klingelzug demo>
lieren, obgleich er den Schlüssel in der Tasche hat. Den wollte ich lieben! Und wenn er mich genau
so lieb hat wie ich ihn, dann wird es eben so sein.
Sonst hole der Teufel das ganze angebetete Männervolk. Christine Garden
Blond oder schwarz? Meliert an den bewußten Schläfen? In gesicherter oder ungesicherter Position,
ob als Tyrann oder als Schoßhündchen, ob ob... Statt einer Antwort möchte ich lieber eine
Beobachtung wiedergeben, die ich nicht nur an mir, sondern auch in meinem Freundinnen^, Be#
kanntinnen und auch in meinem Kolleginnenkreis gemacht habe. Diese Beobachtung ist: Die junge
Frau und auch das Mädchen, das aus der Zeit des „Schmachtens" und der „Filmphotomappe"
heraus ist, suchen heute — so scheint mir — die Nähe eines Mannes, der eine Abkehr yon dem
ausgesprochen männlichen Temperament bedeutet. Das ausgesprochen und ausschließlich männliche
Temperament kennzeichnet sich ja nicht etwa durch Härte, Robustheit, Forsche und Gewalttätige
keit, sondern schon durch den Mangel an Sensibilität, Milde und tastendes Wesen, durch den Mangel
an Eigenschaften, die uns Frauen und Mädchen vielleicht selbst in einem gewissen Maße abhanden
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