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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 16.1936

DOI Heft:
Heft 9
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Bethge, Hans: Vision auf Sylt
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0736

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Hans Sauerbruch

VISION AUF SYLT
Von
HANS BETHGE
Ich wandere am Sylter Strande, eine gute Strecke nördlidi von Wester-
land, und denke an tausend Dinge. Mein Kopf ist etwas nach vorn
geneigt, mein Auge ruht auf dem Sande, plötzlich mache ich halt. Idi
kann den Blick nicht von einer Stelle des Strandes vor mir wenden. Ich
stehe in einem Bann, die Stelle gibt mich nicht frei, fast unbewußt starre
ich unausgesetzt auf sie nieder. Die Stelle hat durchaus nichts Sonderbares,
ich kann mich trotzdem nicht von ihr trennen. Ich lenke das Auge gewalt-
sam aufs Meer hinaus, — immer wieder schweift es auf die Stelle zurück.
Ich möchte weiter wandern, es geht nicht. Ich denke nach, was es sein
könnte, ich finde keine Lösung. Ich muß bleiben. Idi steige die Düne hinan
und strecke mich oben aus, wo ich den Flecken immer vor Augen habe.
Das Meer liegt glatt wie ein Teller und funkelt. Während die Sonne unter-
taucht und der silberne Klang der Brandung heraufdringt, ersinne ich dies:
Sie waren zwei in Treue verbundene Freunde und teilten Kummer und
Lust. Sie hatten eine helle Jugend, ihre Eltern waren reich, es stand ihnen
alles zu Gebote, ihr Wissen zu erweitern und durch die Erfahrung zu
lernen. Sie reisten zusammen in fremden Ländern, sie studierten auf den
gleichen Universitäten, sie hatten die gleichen Neigungen des Wissens und
schickten sich an, zu gleicher Zeit ihre Examina zu absolvieren. Orest und
Pylades nannte man sie.

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