Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt
— 16.1936
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Heft 4
DOI Artikel:Ziese, Maxim: Kultur aus zweiter Hand: Kritischer Marktbericht eines Handelshauses, wohl assortiert in Kunst, Liebe usw.
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KULTUR AUS ZWEITER HAND
Kritischer Marktbericht eines Handelshauses, wohl assortiert in Kunst,
Liebe usw.
Von
MAXIM ZIESE
Hon neuem folgt das vorbenannte Haus hierdurch seiner immer gehabten
Gewohnheit, über das jeweils vorübergegangene Jahrhundert einen ge$
schriebenen Bericht in offenem Druck an seine Freunde herausgehen zu lassen.
Seit Begründung dieser Gewohnheit durch unseren Herrn Vorfahrer an diesem
Haus, so von Gott geschützet, den verewigten SeniorsChef, den Johann Philippo
Mercator, genannt Caufmann, auch Ratsschreiber weiland zu Augsburg, doctor
utriusque juris der Hohen Schule zu Bologna und untertäniger Freund des Kaisers
Friedrich mit dem roten Bart, erwählten Römischen Kaisers, allzeit Mehrer des
Reiches, haben diese Niederschriften, in jedem Jahrhundert erscheinend am
I. April des ,6. Jahres, niemals der Beachtung durch die Zeitgenossen zu ent^
behren brauchen. Gott zu Lobe und unserem Hause auch hinfort zu Fromm."
Mit diesen Worten, alther unverändert so gewohnt, mögen wir auch diesmal
beginnen. Der letzte Jahrhundertbericht vom i. April 1836 stand unter dem
Eindruck des Hinscheidens von Kleist, Schiller und Goethe sowie der Erfindung
der Dampfeisenbahn.
Wenn wir heute, 100 Jahre später, am 1. April 1936 wiederum berichten, so
lag kein Anlaß vor, von der Übung abzugehen, welche der Gründer des Hauses
hierfür mit den Worten vorschrieb: ,,uti demonstratio praescripta rationem referret
saeculi ex specula quadam alter."
Diesen Grundsatz unseres Hauses gilt es auch heute nach Jahrhunderten
wiederum zu befolgen. Das bedeutet, den wahren Geist der Zeit zu erkennen
und zu schildern und nicht in die Darlegung kleinerer, wenn auch erfolgreicher
Geschäftsvorgänge sich zu verlieren.
Und so wurde in der diesmaligen Jahrhundertsitzung in Anwesenheit des endest
unterzeichneten Notars einstimmig beschlossen: Kennzeichen dieser Zeit ist die
Befriedigung ihrer Bedürfnisse durch jene, im vorigen Berichtsjahrhundert noch
unbekannt gewesene
Handelsusance der zweiten Hand.
Wir geben, unserer länger dauernden Gewohnheit gemäß, zur Begründung
dieser Erkenntnis zweien von unseren Abteilungsleitern das Wort.
I. Prof. Dr. Mackie Eysenbarth für das Gebiet der Kunst.
II. Fräulein Hannelore Meyer für das Gebiet der Liebe.
Die Erfahrungen im seelischen Umsatz der Zeit, wie sie von uns im Fachgebiete
der Kunst beobachtet werden konnten, gehen in folgender Richtung:
Die Märchenseher und Dornröschenküsser der Romantik, deren geistige
Umsätze noch im letzten Geschäftsbericht breiten Raum einnahmen, sind offene
sichtlich ausgestorben, nachfolgeberechtigte Erben waren nicht aufzufinden.
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Kritischer Marktbericht eines Handelshauses, wohl assortiert in Kunst,
Liebe usw.
Von
MAXIM ZIESE
Hon neuem folgt das vorbenannte Haus hierdurch seiner immer gehabten
Gewohnheit, über das jeweils vorübergegangene Jahrhundert einen ge$
schriebenen Bericht in offenem Druck an seine Freunde herausgehen zu lassen.
Seit Begründung dieser Gewohnheit durch unseren Herrn Vorfahrer an diesem
Haus, so von Gott geschützet, den verewigten SeniorsChef, den Johann Philippo
Mercator, genannt Caufmann, auch Ratsschreiber weiland zu Augsburg, doctor
utriusque juris der Hohen Schule zu Bologna und untertäniger Freund des Kaisers
Friedrich mit dem roten Bart, erwählten Römischen Kaisers, allzeit Mehrer des
Reiches, haben diese Niederschriften, in jedem Jahrhundert erscheinend am
I. April des ,6. Jahres, niemals der Beachtung durch die Zeitgenossen zu ent^
behren brauchen. Gott zu Lobe und unserem Hause auch hinfort zu Fromm."
Mit diesen Worten, alther unverändert so gewohnt, mögen wir auch diesmal
beginnen. Der letzte Jahrhundertbericht vom i. April 1836 stand unter dem
Eindruck des Hinscheidens von Kleist, Schiller und Goethe sowie der Erfindung
der Dampfeisenbahn.
Wenn wir heute, 100 Jahre später, am 1. April 1936 wiederum berichten, so
lag kein Anlaß vor, von der Übung abzugehen, welche der Gründer des Hauses
hierfür mit den Worten vorschrieb: ,,uti demonstratio praescripta rationem referret
saeculi ex specula quadam alter."
Diesen Grundsatz unseres Hauses gilt es auch heute nach Jahrhunderten
wiederum zu befolgen. Das bedeutet, den wahren Geist der Zeit zu erkennen
und zu schildern und nicht in die Darlegung kleinerer, wenn auch erfolgreicher
Geschäftsvorgänge sich zu verlieren.
Und so wurde in der diesmaligen Jahrhundertsitzung in Anwesenheit des endest
unterzeichneten Notars einstimmig beschlossen: Kennzeichen dieser Zeit ist die
Befriedigung ihrer Bedürfnisse durch jene, im vorigen Berichtsjahrhundert noch
unbekannt gewesene
Handelsusance der zweiten Hand.
Wir geben, unserer länger dauernden Gewohnheit gemäß, zur Begründung
dieser Erkenntnis zweien von unseren Abteilungsleitern das Wort.
I. Prof. Dr. Mackie Eysenbarth für das Gebiet der Kunst.
II. Fräulein Hannelore Meyer für das Gebiet der Liebe.
Die Erfahrungen im seelischen Umsatz der Zeit, wie sie von uns im Fachgebiete
der Kunst beobachtet werden konnten, gehen in folgender Richtung:
Die Märchenseher und Dornröschenküsser der Romantik, deren geistige
Umsätze noch im letzten Geschäftsbericht breiten Raum einnahmen, sind offene
sichtlich ausgestorben, nachfolgeberechtigte Erben waren nicht aufzufinden.
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