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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 16.1936

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Heft 6
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Champion, Theo: Aus meinem Leben
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0488

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AUS MEINEM LEBEN
Von
THEO CHAMPION
Leser einer Kunstzeitschrift haben es nicht immer leicht, wenn sie den Begleite
text über das Werk eines Künstlers lesen wollen. Sie müssen dann tiefsinnige,
mitunter auch unverständliche Betrachtungen über sich ergehen lassen. Mich z. B.
würde es mehr interessieren, zu wissen, welche Haare der Künstler hat, welche
Augen, ich möchte lieber seine Photo sehen, als langatmige Erklärungen seiner
Kunst zu lesen. In der Annahme, daß es auch unter den Querschnittlesern solche
gibt, die meiner Ansicht sind, sei mir im folgenden erlaubt, mein Wesen und mein
Äußeres zu zeichnen.
Ich bin nun einmal neugierig und sehe gern in geöffnete Fenster, wenn ich so
über die Straße gehe, habe großes Interesse für einen Straßenkehrer, sehe mit
Befriedigung, wie er eines Tages zum Müllkutscher befördert ist, beobachte das
Pferd eines Milchhändlers, das früher einem Metzger diente, oder das Hündchen
mit dem Bratwurstschwanz, das mir täglich auf dem Wege zum Atelier begegnet.
Dieses alles interessiert mich ungeheuer, ja ich möchte die ausführliche Lebens^
geschichte dieser Menschen und Tiere wissen. So öffne ich denn mein Fenster,
damit alle, die ebenso neugierig sind wie ich, hineinblicken können. Sie sehen da
vor allen Dingen eine große Staffelei, auf der kein Bild steht. Die Wände sind hell,
aber auch sozusagen ohne Bilder. Im Hintergründe eine große Türnische, die
durch einen Vorhang verdeckt ist. Dahinter sollen einige Bilder stehen. Unter
dem schrägen Atelierfenster ist ein sehr großer Tisch, auf dem ein wüstes Durchs
einander herrscht. Requisiten eines Ateliers, wie da sind: ausgequetschte Tuben,
ein Spirituskocher, ungezählte Fläschchen, die nie gebraucht werden, Hammer,
Zange, Pinsel usw. Der Maler sitzt gerade unter diesem Durcheinander und
schreibt. Er ist ein Mann von etwa fünfzig Jahren, mit frischer Hautfarbe und
unmöglich blonden Haaren, trägt ein blaßblaues Polohemd, eine helle Tennishose,
jedoch alles ohne Eleganz. Links in einer schattigen Ecke steht ein sehr breites
Chaiselongue, umrahmt mit türkischen Buntdruckdecken, daneben ein oranges
gestreifter Sessel, ein rotes Schleiflacktischchen und dann ein anspruchsloser
Büchersschrank. Das Atelier ist klein, aber es genügt, da der Maler sozusagen
immer draußen malt.
Mein Vater war Kaufmann, ein gestrenger Herr, den die Kinder auf der Straße
nicht nach der Uhr zu fragen wagten, um mit Dickens zu reden. Mit großem
Eifer war er Reserveoffizier und brachte es im Kriege sogar bis zum Major. Selbst
wenn er Zivil trug, glaubte man Sporenklirren und Säbelklappen zu hören. Dabei
erdröhnte die Erde unter seinem gewaltigen Schritt, er war ein stattlicher Mann,
wie die Leute sagen. Da mein Vater wohlhabend war, durfte ich Maler werden,
denn er hielt meine materielle Zukunft für gesichert, was sich aber leider nicht
bestätigte. Ich konnte damals mit aller Ruhe studieren und Reisen unternehmen.
Das ideale Vorbild, das ihm vorschwebte, war Andreas Achenbach. Ich ging aber
andere Wege. Er fand meine Motive scheußlich und meinte, ich müsse die Alpen

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