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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 16.1936

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Heft 5
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Stendel, Wolfgang: Das Handtäschchen
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Bedel, Maurice: Die Mädchen mit dem starken Herzen
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0388

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innerungswert, sondern sind Vorzeigephotographien. Man tut gut, etwaige Wich
mungen auf der Rückseite nicht zu übersehen; das wäre taktlos.
Bleistifte und Füllfederhalter sind um so sicherer vorhanden, je seltener sie
gebraucht werden. Hilfsbereite Nichtraucherinnen haben Streichhölzer bei sich,
Raucherinnen stets eine nie benutzte Zigarettenspitze. Manchmal findet sich ein
kleines, mit Vorsicht zu behandelndes Taschenmesser, manchmal auch Nadel
und Zwirn, Sicherheitsnadeln nie, eher Büroklammern. Um Briefe, Rechnungen,
Zettel, Kinokarten, abgefahrene Fahrscheine, Gummiringe, Zigarettenbilder und
einzelne Groschen zu finden, können wir auch in unseren eigenen Taschen auf
Suche gehen. Aber ein Fahrplan...
Ein Fahrplan der Berliner Vorortbahnen in der Tasche einer berufstätigen
jungen Dame, die ausschließlich Untergrundbahn fährt, hat den gewissenhaften
Forscher stutzig gemacht. Er erhielt zur Antwort: „Im Fall einmal früher Büro^
schluß und schönes Wetter sein sollte, kann ich gleich nach auswärts fahren,
nach Wannsee." — „Aber die Bahnen fahren doch alle zehn Minuten!" —
„Trotzdem!"
Das Handtäschchen ist das Sinnbild der weiblichen Freizügigkeit und des
Bewußtseins, selbständig zu sein. Der Mann steckt dazu die Hand in die Tasche.
Schneider aller Zeiten haben versucht, den Damen Rocktaschen zu geben. Das
würde nichts nützen, denn die Hosenrollen auf dem Theater zeigen, daß solche
Geste erst durch die Gewohnheit einiger Jahrhunderte gelingt. Wahrscheinlich
würden wir Männer die unermüdliche Wachsamkeit auf ein Handtäschchen auch
erst nach Jahrhunderten lernen...
DIE MÄDCHEN MIT DEN STARKEN HERZEN
Von
MAURICE BEDEL
Es ist unglaublich, welchen Unternehmungsgeist die jungen Mädchen von
heute an den Tag legen.
Gewiß waren die Mädchen auch früher nicht weniger begabt, und ebenso
couragiert und entschlossen, denn schließlich hat Penthesilea so manchen Krieger
mit ihren Pfeilen erlegt, und auch Antiope, die Mutter Hippoliths, war in diesem
Sport sehr tüchtig. Vlasta, die vor etwa zwölf Jahrhunderten in Böhmen Krieg
führte, befehligte eine Schar kampffreudiger Gefährtinnen, welche ihre Ge^
fangenen niedermachten, bis auf die Schönsten, die sie für persönlichen Gebrauch
verschonten; Jeanne d'Arc verließ mit sechzehn Jahren ihr Heimatsdorf, um
Frankreich zu retten, und Charlotte Corday tat mit fünfundzwanzig Jahren das
nämliche für die Rettung der Freiheit. Aber hier handelt es sich um äußern
gewöhnliche Situationen geborener Heldinnen.
Die jungen Mädchen kommen nicht mehr in die Lage, die Penthesilea zu
spielen. Aber gehörte wirklich mehr Mut dazu, einem Achill die Stirn zu bieten,
als der Unbill des heutigen Lebens?

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