Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt
— 16.1936
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0584
DOI Heft:
Heft 7
DOI Artikel:Faust, Bernhard: Borda: Eine spanische Liebesgeschichte
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BORDA
Eine spanische Liebesgeschichte von
BERNHARD FAUST
ch bin nicht schuld an seinem Tode, an ihrem Tode, die Heilige Mutter kann
es bezeugen. Palomas vielmehr, der Junge, trägt die Schuld, der Herumtreiber,
der ihr Pflegebruder war. Ich habe ihn gewarnt, als ich Borda ins Haus nahm und
heiratete.
„Onkel Suchet", sagte er eines Tages, „du bist ein alter Mann und hast keine
Erben, erbarme dich deshalb heut schon unserer Not, sonst müssen wir hungern,
auch Borda, und wir lieben uns, Onkel Suchet."
„Geh zur Arbeit!" gebot ich. „Lungere nicht an der Albufera! Pflanze Reis,
damit du ihn nach Cataroja zu Markt tragen kommst! Nichtstuer, du bummelst,
und deine Mutter hat ihre Plage mit dir."
„Nun gut", murmelte er düster und machte sich aus dem Staube. „Leb wohl
Onkel Suchet!" schrie er aus der Ferne. „Onkel Sangonera!"
Der Lümmel spottete meiner und hatte vergessen, daß ich ihm den Zins
stundete, der auf seinem elenden Netzwerk lastete und auf dem Pachtland. Doch
behielt ich meine Ruhe und hatte mit ihm und seiner Mutter Nachsicht. Aber
Palomas nahm es hin wie eine Selbstverständlichkeit und änderte seine Gesinnung
mir gegenüber, seinem Wohltäter, nicht im geringsten.
Mitleid zu üben, bin ich meiner Würde schuldig, denn die Frau des Alkalden
kommt zu mir, wenn sie den Sonntagsbraten kauft. Meine Ware ist weit und
breit die beste, und das Fleisch, das ich verkaufe, stets frisch und brauchbar, und
die Frau des Alkalden ist zufrieden. Ich habe mir einen Eisschrank angeschafft,
um meine Ware vor der Hitze zu schützen und meine Kunden zufriedenzustellen;
und der Zulauf ist groß, mein Geschäft wächst. Abends sitzen die Senores in
meiner Taverna, und ich sage „Caballeros" zu ihnen. Ich bin ein ehrbarer Bürger,
geachtet und geschätzt im Lande.
Neleta, Palomas Mutter, die Borda, den Findling, betreute, war meine Ge^
liebte. Aber das ist lang her, und heut ist sie alt und eingeschrumpft. Dafür nahm
ich ihr dies junge Ding — Borda, den Findling.
Neleta behauptet, Palomas sei mein Sohn. Es mag sein, ich will darüber nicht
streiten, jedenfalls ist er der Liebhaber Bordas gewesen und darum mein Feind.
Ich habe ihn aus meiner Taverna gewiesen.
„Du hast das Geld gekündigt?" fragte Neleta, die sich abends zu mir schlich.
„Ich tat es", erwiderte ich und behielt meine Ruhe.
„Aber er kann ja nicht bezahlen!" schrie sie voll Angst. „Das Jahr war schlecht,
die Fische gelten niedrig im Preis, und Palomas kommt ins Gefängnis, wenn du
klagst. Was soll aus uns werden?"
„Gib mir Borda, den Findling", sagte ich gelassen, denn ich fürchtete sie nicht
mehr. „Dann kannst du in deinem Haus wohnen bleiben, solang er im Gefängnis
sitzt."
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Eine spanische Liebesgeschichte von
BERNHARD FAUST
ch bin nicht schuld an seinem Tode, an ihrem Tode, die Heilige Mutter kann
es bezeugen. Palomas vielmehr, der Junge, trägt die Schuld, der Herumtreiber,
der ihr Pflegebruder war. Ich habe ihn gewarnt, als ich Borda ins Haus nahm und
heiratete.
„Onkel Suchet", sagte er eines Tages, „du bist ein alter Mann und hast keine
Erben, erbarme dich deshalb heut schon unserer Not, sonst müssen wir hungern,
auch Borda, und wir lieben uns, Onkel Suchet."
„Geh zur Arbeit!" gebot ich. „Lungere nicht an der Albufera! Pflanze Reis,
damit du ihn nach Cataroja zu Markt tragen kommst! Nichtstuer, du bummelst,
und deine Mutter hat ihre Plage mit dir."
„Nun gut", murmelte er düster und machte sich aus dem Staube. „Leb wohl
Onkel Suchet!" schrie er aus der Ferne. „Onkel Sangonera!"
Der Lümmel spottete meiner und hatte vergessen, daß ich ihm den Zins
stundete, der auf seinem elenden Netzwerk lastete und auf dem Pachtland. Doch
behielt ich meine Ruhe und hatte mit ihm und seiner Mutter Nachsicht. Aber
Palomas nahm es hin wie eine Selbstverständlichkeit und änderte seine Gesinnung
mir gegenüber, seinem Wohltäter, nicht im geringsten.
Mitleid zu üben, bin ich meiner Würde schuldig, denn die Frau des Alkalden
kommt zu mir, wenn sie den Sonntagsbraten kauft. Meine Ware ist weit und
breit die beste, und das Fleisch, das ich verkaufe, stets frisch und brauchbar, und
die Frau des Alkalden ist zufrieden. Ich habe mir einen Eisschrank angeschafft,
um meine Ware vor der Hitze zu schützen und meine Kunden zufriedenzustellen;
und der Zulauf ist groß, mein Geschäft wächst. Abends sitzen die Senores in
meiner Taverna, und ich sage „Caballeros" zu ihnen. Ich bin ein ehrbarer Bürger,
geachtet und geschätzt im Lande.
Neleta, Palomas Mutter, die Borda, den Findling, betreute, war meine Ge^
liebte. Aber das ist lang her, und heut ist sie alt und eingeschrumpft. Dafür nahm
ich ihr dies junge Ding — Borda, den Findling.
Neleta behauptet, Palomas sei mein Sohn. Es mag sein, ich will darüber nicht
streiten, jedenfalls ist er der Liebhaber Bordas gewesen und darum mein Feind.
Ich habe ihn aus meiner Taverna gewiesen.
„Du hast das Geld gekündigt?" fragte Neleta, die sich abends zu mir schlich.
„Ich tat es", erwiderte ich und behielt meine Ruhe.
„Aber er kann ja nicht bezahlen!" schrie sie voll Angst. „Das Jahr war schlecht,
die Fische gelten niedrig im Preis, und Palomas kommt ins Gefängnis, wenn du
klagst. Was soll aus uns werden?"
„Gib mir Borda, den Findling", sagte ich gelassen, denn ich fürchtete sie nicht
mehr. „Dann kannst du in deinem Haus wohnen bleiben, solang er im Gefängnis
sitzt."
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