Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt
— 16.1936
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0399
DOI Heft:
Heft 5
DOI Artikel:Bamm, Peter: Krise des Nachhausebringens
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Friedrich Winckler'Tannenberg
KRISE DES
NACHHAUSEBRINGENS
Von
PETER BAMM
Man mag so alt werden, wie man will,
und man mag von der Geselligkeit so
wenig halten, wie man will, so gibt es doch
im Ablauf eines Abends jedenfalls einen
Augenblick, der sich sicher lohnt, und einen
zweiten, der vielleicht sich lohnen wird.
Der erste Augenblick ist der des Eintritts
in den Raum, in dem die Gäste sich ver^
sammeln.
Man hat der Verführung widerstanden,
im letzten Augenblick zum Telephon
zu greifen, um mit einem fadenscheinigen Vorwand abzusagen. Der Abend ist
geopfert. Man befindet sich in der angenehmen Lage eines Selbstmörders, der,
statt in der Hölle, im Spital erwacht und nun über den Rest seines Lebens nach
Gutdünken verfügen kann.
Man hat eine Tür durchschritten, die ins Helle führt. Und wieviel Türen sind
einem oft im letzten Augenblick noch vor der Nase zugeschlagen, daß man im
Dunkeln draußen stand. Diesmal wird der kalte Regen andere durchnässen. Man
bedarf keiner skeptischen oder melancholischen Überlegungen, um seine Selbste
achtung zu retten. Man kann die Skepsis und die Melancholie als Seziermesser
in die Seelen seiner Mitmenschen stoßen, eine bei ausreichendem Einkommen
ebenso unterhaltsame wie beruhigende Beschäftigung.
Aber noch ist es nicht soweit. Freilich, jene, die glauben, noch irgendwo ihr
Glück treffen zu können, sind Narren. Ehrenwert und unentbehrlich für die
Welt, aber eben Narren. Der Narr von Welt ist unbelehrbar. Der Mann von Welt
hat aus seinen Erfahrungen Nutzen gezogen. Aber auch er ist ein Idealist.
Hier und jetzt vielleicht wird sich verwirklichen, was in allen Romanen und
in allen Filmen der Welt mit einer so überwältigenden Selbstverständlichkeit vor
sich geht. Hier und jetzt vielleicht wird man eine wirkliche Gesellschaft betreten
mit schönen Frauen, mit klugen und gebildeten Männern und mit bezaubernden
und schüchternen jungen Mädchen.
Dies ist der eine Augenblick, der sich lohnt. Das beste wäre, an dieser Stelle
umzukehren. Aber erwachte Selbstmörder springen so leicht nicht aus dem Spitak
fenster. Sie hoffen, daß die Schwester, wenn nicht jung und hübsch, so doch
wenigstens alt und freundlich ist.
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