Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt
— 16.1936
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0299
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Heft 4
DOI article:Bock, Christian: Der Unfug des Telefonierens
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Friedrich Winckler^Tannenberg
DER UNFUG DES TELEFONIERENS
Von
CHRISTIAN BOCK
Zweierlei dürfte unbestritten sein: erstens, daß Telefonieren eine Krankheit
ist, zweitens, daß es neben dem „gemeinen Telefon" (die botanische Vokabel
scheint mir angebracht) ein besonderes mit ganz spezifischen Eigenschaften gibt:
das Berliner Telefon. Diese letzte Behauptung ist unschwer zu belegen: Es gibt
kein Ding, das der Berliner nicht sehr schnell nach seinem Bilde wandelte. Selbst
der Himmel über dieser Stadt ist ganz berlinisch.
Aber nun: daß Telefonieren eine Krankheit ist. Keine Krankheit, bei der man
bettlägrig wird, man geht ganz munter umher, und niemand sieht einem etwas
an — es ist eine von jenen psychischen Krankheiten, die aus den seelischen Mängeln
des Komforts geboren, aber darum nicht immer gleich als Krankheit erscheinen.
Wir haben es sogar gelernt, ihre Eigenheiten seelisch brauchbar zu machen, unsere
Krankheiten würden uns geradezu fehlen, wenn wir plötzlich geheilt wären.
Wenn die folgenden Beispiele ähnlich auch anderswo zu finden sind, so ist
doch ihr pathologischer Charakter nirgends sonst so ausgeprägt. Niemand lebt
so intensiv mit seinem Telefon wie der Berliner. Niemand wartet so auf einen
Anruf und niemand versteht es so, den technischen Apparat für sein Innenleben
nutzbar zu machen.
Über das Anhängen
Es ist ganz und gar erstaunlich: Wir haben es verstanden, aus technischen
Mängeln des Telefons ganz neue psychische Reize zu gewinnen. Mitten in einem
Gespräch die Unterhaltung kurzerhand dadurch abbrechen, daß man stumm
den Hörer auf die Gabel legt, das ist eine Art Desinteresse, die so wirksam und
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