Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt
— 16.1936
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0120
DOI Heft:
Heft 2
DOI Artikel:Campanile, Achille: Bett-Philosophie
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BETT-PHILOSOPHIE
Von
ACHILLE CAMPANILE
Man spricht neuerdings viel von einer eigentümlichen Art Magnetismus:
es soll dies die Anziehungskraft sein, die gewisse unbeseelte Gegenstände
auf menschliche Wesen ausüben.
Meiner unmaßgeblichen Meinung nach hat diese Ansicht etwas Wahres an
sich. Einer der Gegenstände, zum Beispiel, die diese Anziehungskraft ausüben,
ist — so weit ich's beobachten konnte — das Bett. Ich sehe allabendlich eine Um
menge Leute, die lange Strecken zu Fuß, mit der Elektrischen, mit einem Wagen
oder per Auto zurücklegen, und alle haben sie das gleiche Ziel, nämlich: Richtung
Bett. Den ganzen Tag gehen sie umher, die einen dahin, die andern dorthin, aber
zu einer bestimmten Stunde fühlen sie sich zu guter Letzt, wo immer sie sich be^
finden, unweigerlich vom Bett angezogen, auch wenn die Entfernung noch so groß
ist. Sie verabschieden sichvon den Freunden, verlassen die öffentlichen Vergnügungs^
lokale und kehren eiligst heim. Ihre Schritte erklingen behend auf dem Pflaster.
Nichts kann sie aufhalten. Zu Hause angelangt, endigt die Sache damit, daß sie
sich — immer unter der Wirkung des Magnetismus natürlich — dem Bett nähern,
um unter die Decken zu schlüpfen — nachdem sie sich ausgezogen haben, versteht
sich. Dann bleiben sie mehrere Stunden hindurch diesem unbelebten Gegenstand
aufs innigste verbunden. Bei einigen wirkt diese geheimnisvolle Kraft so stark,
daß es ihnen in der Frühe außerordentlich schwer fällt, sich vom Bett zu trennen.
Eine Zeitlang bleiben sie liegen, ohne einmal den Kopf zu heben, als wären sie
bewußtlos. Sie sind allen Rufen gegenüber taub, mit denen ihre Angehörigen
sie dem magischen Bann entreißen möchten.
Es gibt auch Leute, die einer anderen nicht minder kuriosen Anziehungskraft
unterliegen, der der Kaffeehausstühle. Die bedeutendste und wichtigste aber ist
und bleibt die Anziehungskraft des Bettes, weil sie auf der ganzen Welt in En
scheinung tritt. Es gilt als erwiesen, daß in den verschiedensten und entferntesten
Ländern, in den Städten und auf dem Lande, jeden Abend alle Welt sich in Rich^
tung der Betten bewegt. Und, warum es verbergen? ich selber unterliege nicht
minder der Anziehungskraft des meinigen.
Tatsache ist, daß man immer im Bett landet. Im Bett kommt man zur Welt;
eine halbe Stunde später wird man wieder hineingelegt; dann kehrt man jeden
Tag in regelmäßigen Intervallen dorthin zurück. Wenn wir müde oder traurig
sind, werfen wir uns aufs Bett. Sind wir krank, kommt sogar ein Mann der Wissens
schaft daher, der die besten Jahre seines Lebens über Bücher gebeugt vergeudet
hat, um die Rätsel der Natur zu studieren. Er untersucht uns, befragt uns, denkt
tief nach, und womit endet das Lied? Mit dem weisen Rat: „Legen Sie sich zu
Bett."
Eines schönen Tages verlieben wir uns in ein Mädchen. Das fängt zunächst
mit Seufzern an, mit zärtlichen Worten und heimlichen Spaziergängen; dann
greifen die Verwandten ein, die Garderobe wird von Kopf bis Fuß erneuert —
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Von
ACHILLE CAMPANILE
Man spricht neuerdings viel von einer eigentümlichen Art Magnetismus:
es soll dies die Anziehungskraft sein, die gewisse unbeseelte Gegenstände
auf menschliche Wesen ausüben.
Meiner unmaßgeblichen Meinung nach hat diese Ansicht etwas Wahres an
sich. Einer der Gegenstände, zum Beispiel, die diese Anziehungskraft ausüben,
ist — so weit ich's beobachten konnte — das Bett. Ich sehe allabendlich eine Um
menge Leute, die lange Strecken zu Fuß, mit der Elektrischen, mit einem Wagen
oder per Auto zurücklegen, und alle haben sie das gleiche Ziel, nämlich: Richtung
Bett. Den ganzen Tag gehen sie umher, die einen dahin, die andern dorthin, aber
zu einer bestimmten Stunde fühlen sie sich zu guter Letzt, wo immer sie sich be^
finden, unweigerlich vom Bett angezogen, auch wenn die Entfernung noch so groß
ist. Sie verabschieden sichvon den Freunden, verlassen die öffentlichen Vergnügungs^
lokale und kehren eiligst heim. Ihre Schritte erklingen behend auf dem Pflaster.
Nichts kann sie aufhalten. Zu Hause angelangt, endigt die Sache damit, daß sie
sich — immer unter der Wirkung des Magnetismus natürlich — dem Bett nähern,
um unter die Decken zu schlüpfen — nachdem sie sich ausgezogen haben, versteht
sich. Dann bleiben sie mehrere Stunden hindurch diesem unbelebten Gegenstand
aufs innigste verbunden. Bei einigen wirkt diese geheimnisvolle Kraft so stark,
daß es ihnen in der Frühe außerordentlich schwer fällt, sich vom Bett zu trennen.
Eine Zeitlang bleiben sie liegen, ohne einmal den Kopf zu heben, als wären sie
bewußtlos. Sie sind allen Rufen gegenüber taub, mit denen ihre Angehörigen
sie dem magischen Bann entreißen möchten.
Es gibt auch Leute, die einer anderen nicht minder kuriosen Anziehungskraft
unterliegen, der der Kaffeehausstühle. Die bedeutendste und wichtigste aber ist
und bleibt die Anziehungskraft des Bettes, weil sie auf der ganzen Welt in En
scheinung tritt. Es gilt als erwiesen, daß in den verschiedensten und entferntesten
Ländern, in den Städten und auf dem Lande, jeden Abend alle Welt sich in Rich^
tung der Betten bewegt. Und, warum es verbergen? ich selber unterliege nicht
minder der Anziehungskraft des meinigen.
Tatsache ist, daß man immer im Bett landet. Im Bett kommt man zur Welt;
eine halbe Stunde später wird man wieder hineingelegt; dann kehrt man jeden
Tag in regelmäßigen Intervallen dorthin zurück. Wenn wir müde oder traurig
sind, werfen wir uns aufs Bett. Sind wir krank, kommt sogar ein Mann der Wissens
schaft daher, der die besten Jahre seines Lebens über Bücher gebeugt vergeudet
hat, um die Rätsel der Natur zu studieren. Er untersucht uns, befragt uns, denkt
tief nach, und womit endet das Lied? Mit dem weisen Rat: „Legen Sie sich zu
Bett."
Eines schönen Tages verlieben wir uns in ein Mädchen. Das fängt zunächst
mit Seufzern an, mit zärtlichen Worten und heimlichen Spaziergängen; dann
greifen die Verwandten ein, die Garderobe wird von Kopf bis Fuß erneuert —
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