Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt
— 16.1936
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0375
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Heft 5
DOI article:Schacht, Sven: Königin Privatsekretärin: Ein Märchen von Sven Schacht
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KÖNIGIN PRIVATSEKRETÄRIN
Ein Märchen von
SVEN SCHACHT
Throne bersten, Reiche zittern" — Man merkt diesen Versen an, daß sie vor
Erfindung der Privatsekretärin einem getreuen Eckermann diktiert worden
sind. Denn hätte Goethe schon eine Privatsekretärin über sich gehabt, er hätte
gewußt, daß der Thron, den die Königin Privatsekretärin innehat, nicht birst,
sondern ihr Opfer. Und erst das Zittern: er hätte es gelernt, der Olympier, dank
der Allmacht Ihrer Majestät der Königin Privatsekretärin.
Mein Leidensgenosse, du kleiner oder großer Unbekannter im General#
direktorzimmer oder im Dichterstübchen, ich glaube, mich zum Mittler deiner
verborgensten Gefühle, deiner ängstlich geheimgehaltenen Gedanken zu machen,
wenn ich die Frage voranstelle: „Wie kam es eigentlich, wie fing es eigentlich an?"
So fing es an: mit einem melodischen Klopfen, worauf sie in schicklicher Ent#
fernung von deinem, meinem, unserem Schreibtisch, den Notizblock sachlich
bereitgehalten, dastand, wortlos, ganz Ohr. Und wir sagten: „Schreiben Sie bitte —
Geschätzte Firma, ich muß entschieden feststellen, daß"—nun wurden wir wortlos,
denn Gedankenpausen müssen sein — und ja, sie sind schuld, die Gedankenpausen.
„Was sagte ich?" Und sie haucht mit Engelszungen: „ich muß entschieden fest#
stellen, daß..." „Drollig", raunt uns die Gedankenpause zu, „wie sie mein Wort
,entschieden' so entschieden ausspricht, das Persönchen, als ob sie entschieden
sein könnte, ha, ha!!" Und wir stellen entschieden fest, daß Sie ein reizendes
Velourkrägelchen umhat, und daß die Stirnlocke dicht über der Schläfe schon
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