Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt
— 16.1936
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https://doi.org/10.11588/diglit.74679#0374
DOI issue:
Heft 5
DOI article:Molzahn, Ilse: Aus Mariannens Tagebuch
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Mama fragte mich, ob es etwas mit Attenhöfer gegeben hätte. Ich versicherte
ihr das Gegenteil. Er wäre sehr besorgt um mich, wegen der Kopfschmerzen, und
habe schon zweimal angerufen.
„Kommt er morgen?"
„Natürlich!" sagte Mama, „so wie immer."
Sonntag ...
Sehr überlegt, ob ich nicht mit Kurt Wandertag machen sollte. Aber ich bin
nicht feige und blieb daher erst recht zu Haus. Großmama fragte gleich nach der
Figur und wie weit sie „in ihrer Vollendung vorgeschritten wäre."
„Beinah fertig!" log ich.
Der Zitronencreme hatte keine Klümpchen, Minna strahlte. Punkt 4 Uhr
kam Attenhöfer. Erst küßte er der Großmama die Hand, dann der Mama und
dann, das erstemal, auch mir. Ich konnte ihn nicht ansehen. Der Handkuß ging
mir durch und durch 1—, wie ein Schnürsenkel...
Natürlich fing Großmama sofort von der Brunnennymphe an, noch ehe die
Apfeltorte herumgereicht war.
„Ich habe sie vernichten müssen", sagte Attenhöfer, „denn sie entsprach in
keiner Weise ihrem Vorbild", hierbei warf er mir einen langen, ja, herzlichen
Blick zu. Mir blieb förmlich der Atem stecken. Mama bemerkte es. „Es hat also
doch etwas gegeben", sagte sie und sah mich durchbohrend an.
„Nichts weiter, als daß Nana mir noch eine Woche opfern wird". Ich blickte
Attenhöfer gerade in die Augen und antwortete feierlich: „Ja!"...
Minna, die es gehört hatte, sagte nachher draußen: „wie 'ne Braut in der
Kirche", und wischte sich eine Schnupfenträne aus den Augen...
Den Gedanken an das Abitur, soweit ich mich überhaupt damit beschäftigte,
werde ich so allmählich fallen lassen. Ich habe sie satt, die Jungfrau von Orleans!...
Eine Hochzeitspredigt. Laurence Sterne, der berühmte Verfassser des
„Tristram Shandy" und von „Yoriks empfindsamer Reise", war Satiriker und
Landgeistlicher.
Pfarrer Sterne heiratete. Es war an einem Sonnabend, am Sonntag früh ver#
sammelte sich seine Gemeinde vollzählig in der Kirche, um Miß Sterne kennens
zulernen.
Es war in Ordnung. Die Landleute hatten an der jungen Frau nichts auszusetzen.
Jetzt erhob sich die andere Frage. Über welchen Text wird der Pfarrer am
Morgen nach seiner Hochzeit sprechen ?
Langsam bestieg Pfarrer Sterne die Kanzel und verbreitete sich gelassen über
das Wort:
„Wir haben die ganze Nacht gefischt und nichts gefangen."
Der Chronist, der diese Geschichte aufgezeichnet hat, beschließt seinen Bericht:
„Die Versammelten sahen sich einander an, einige lächelten, einige hielten ihre
Tücher vor den Mund, andere machten ein ernsthaftes Gesicht, doch die Aus#
führung des Textes war, wie gewöhnlich, sehr zweckmäßig und erbaulich."
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ihr das Gegenteil. Er wäre sehr besorgt um mich, wegen der Kopfschmerzen, und
habe schon zweimal angerufen.
„Kommt er morgen?"
„Natürlich!" sagte Mama, „so wie immer."
Sonntag ...
Sehr überlegt, ob ich nicht mit Kurt Wandertag machen sollte. Aber ich bin
nicht feige und blieb daher erst recht zu Haus. Großmama fragte gleich nach der
Figur und wie weit sie „in ihrer Vollendung vorgeschritten wäre."
„Beinah fertig!" log ich.
Der Zitronencreme hatte keine Klümpchen, Minna strahlte. Punkt 4 Uhr
kam Attenhöfer. Erst küßte er der Großmama die Hand, dann der Mama und
dann, das erstemal, auch mir. Ich konnte ihn nicht ansehen. Der Handkuß ging
mir durch und durch 1—, wie ein Schnürsenkel...
Natürlich fing Großmama sofort von der Brunnennymphe an, noch ehe die
Apfeltorte herumgereicht war.
„Ich habe sie vernichten müssen", sagte Attenhöfer, „denn sie entsprach in
keiner Weise ihrem Vorbild", hierbei warf er mir einen langen, ja, herzlichen
Blick zu. Mir blieb förmlich der Atem stecken. Mama bemerkte es. „Es hat also
doch etwas gegeben", sagte sie und sah mich durchbohrend an.
„Nichts weiter, als daß Nana mir noch eine Woche opfern wird". Ich blickte
Attenhöfer gerade in die Augen und antwortete feierlich: „Ja!"...
Minna, die es gehört hatte, sagte nachher draußen: „wie 'ne Braut in der
Kirche", und wischte sich eine Schnupfenträne aus den Augen...
Den Gedanken an das Abitur, soweit ich mich überhaupt damit beschäftigte,
werde ich so allmählich fallen lassen. Ich habe sie satt, die Jungfrau von Orleans!...
Eine Hochzeitspredigt. Laurence Sterne, der berühmte Verfassser des
„Tristram Shandy" und von „Yoriks empfindsamer Reise", war Satiriker und
Landgeistlicher.
Pfarrer Sterne heiratete. Es war an einem Sonnabend, am Sonntag früh ver#
sammelte sich seine Gemeinde vollzählig in der Kirche, um Miß Sterne kennens
zulernen.
Es war in Ordnung. Die Landleute hatten an der jungen Frau nichts auszusetzen.
Jetzt erhob sich die andere Frage. Über welchen Text wird der Pfarrer am
Morgen nach seiner Hochzeit sprechen ?
Langsam bestieg Pfarrer Sterne die Kanzel und verbreitete sich gelassen über
das Wort:
„Wir haben die ganze Nacht gefischt und nichts gefangen."
Der Chronist, der diese Geschichte aufgezeichnet hat, beschließt seinen Bericht:
„Die Versammelten sahen sich einander an, einige lächelten, einige hielten ihre
Tücher vor den Mund, andere machten ein ernsthaftes Gesicht, doch die Aus#
führung des Textes war, wie gewöhnlich, sehr zweckmäßig und erbaulich."
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